Bettbezug ist Bettbezug, zumal wenn er weiß ist und aus Baumwolle. Dachte ich. Die Schweden denken weiter und schlitzen die oberen Ecken eine Handbreit auf. Den Bezug auf links drehen, durch die Schlitze die Daunendecke greifen und wie von Zauberhand landen die Deckenecken an der richtigen Stelle. So ist mein Bett im Handumdrehen bezogen. Oft sind es Kleinigkeiten, die das Leben schön machen.
Das Bett steht in einer kleinen Holzhütte, die wiederum direkt am Seeufer. Und der See liegt dort, wo keine Bäume wachsen. Nur Andeutungen von Polarlicht stehen heute am Himmel, es fehlt die Sonnenaktivität. Dennoch ist es eine zauberhafte Winternacht, ein Stückchen aufgehender Mond zwischen den Sternen, Kiefern strecken ihre schwarzen Arme aus dem weißen Boden und die Temperatur von zwölf Grad Minus ist frühlingshaft für Lappland. Ideale Verhältnisse für einen Spaziergang, also laufe ich auf den gefrorenen See hinaus. Eine aufdringliche Stille umfängt mich, wie kann etwas, das nicht da ist, so präsent sein? Hinter dem See führt eine Piste durch den Wald und ich marschiere weiter.
Eine Viertelstunde später verschluckt ein schlurfendes Geräusch die Stille. Langsam bewegt es sich auf mich zu. Ein Mensch, denn nur Menschen gehen so laut. Nach wenigen Momenten sehe ich ihn: ein Mann in schwarzer Hose, schwarzem Hoodie und einer schwarzen Mütze. Einzig das orange Etikett der Flasche Jägermeister in seiner Hand verleiht ihm Farbe. Sein Torkeln verrät, dass die Flasche nicht mehr voll ist.
»Ich habe mich verlaufen!«, ruft er, als er mich sieht.
»Wo willst du denn hin?«, frage ich ihn.
»Zu meiner Freundin.«
»Und wo kommst Du her?«
»Aus Namibia.«
»Da bist du aber weit ab vom Weg!«, stelle ich lapidar fest.
»Ich studiere in Malmö.«
Das liegt ein Stück näher, ist aber immer noch 2000 Kilometer entfernt. Ich versuche es anders und frage ihn:
»Wo ist denn deine Freundin?«
Er zieht sein Handy aus der Tasche und schaut kurz darauf:
»In der Sauna.«
Auch das ist alles andere als präzise, hier in Lappland gibt es mehr Saunen als Menschen. Ich versuche es noch einfacher:
»Ist dir kalt?«
»Erst ging es gut, aber jetzt friere ich«, erwidert er mit einem Blick auf die Schnapsflasche in seiner zitternden Hand.
Alkohol gegen Kälte ist wie in die Hose pinkeln, es hilft nur am Anfang. Das hat mir vor langer Zeit ein erfahrener Trapper in Alaska erklärt. Diese Weisheit lernt er gerade. Ich gebe ihm meine Handschuhe, die Taschen der Daunenjacke reichen mir aus.
Auf meine weiteren Fragen ernte ich nur unverständliches Gemurmel und beschließe ihn mitzunehmen. Das Camp, in dem ich wohne, ist der einzig warme Platz weit und breit. Also spielt es keine Rolle, wo er ursprünglich hin wollte. Gemeinsam marschieren wir zurück, jetzt wo ich ihm eine Richtung vorgebe, läuft er erstaunlich gerade.
Auf dem Weg klärt sich seine Geschichte. Er gehört zu einer Gruppe von über zwanzig Studenten aus Malmö die ein freies Wochenende hier im Norden verbringen. Allerdings gab es kein Quartier mehr, in das sie alle gepasst hätten, also haben sie sich aufgeteilt. Die eine Hälfte übernachtet im gleichen Camp wie ich. Die andere zehn Kilometer entfernt auf der anderen Seeseite. Was sie nicht bedacht haben ist, dass es zwischen beiden Plätzen keine Straße gibt, Wandern ist die einzige Option.
Der Rest erschließt sich schnell, er wohnt im einen Camp, sie im anderen. Die Sehnsucht nach einander steigt – zumindest auf seiner Seite – im Laufe des Abends dramatisch an. Mit dem Alkoholpegel steigt der Mut und die zehn Kilometer Wanderung erscheinen immer kürzer. Kurzum, er packt sich die Flasche Jägermeister und marschiert los. Alle Zutaten für einen tragischen Heldentod vorhanden. Zu seinem Glück hat er nahezu die korrekte Richtung erwischt und die Hälfte des Weges geschafft.
»Du kannst Deiner Freundin schreiben dass wir in zehn Minuten da sind«, sage ich als wir auf den See kommen. Sein Handy funktioniert noch.
»Sie weiß noch nicht das ich so in sie verliebt bin.«, erwidert er offenherzig.
Ich rekapituliere die unerfreuliche Lage im Kopf: Er ist auf dem Weg zu seiner Freundin, den er nicht kennt. Diese ahnt nichts von seiner Liebe und obendrein ist er sturztrunken. Ist der Alkohol der Grund für sein Problem oder das Problem der Grund für den Alkohol? Schwer zu sagen.
Kurzfristig überlege ich, ihm zu erklären, dass er nicht in der optimalen Verfassung ist um die Liebe einer Frau zu gewinnen. Andererseits: Wer weiß wie die Pfade der Liebe verlaufen, immerhin hat er vollen Einsatz gezeigt, das spricht für ihn. Und wenn er nicht zu ihr in die Sauna findet, habe ich einen besoffenen Studenten aus Namibia an der Backe. Also lasse ich den Dingen ihren Lauf, indem ich ihn wenig später durch die Saunatür schiebe. Am nächsten Morgen liegen die Handschuhe vor meiner Hüttentür, dazu die Flasche mit dem Jägermeister, noch zu einem Drittel gefüllt. Obendrauf ein Zettel mit nur einem Wort: »Tack«. Und ich möchte gerne glauben, dass es die Handschrift einer Frau ist, Noch eine Kleinigkeit, die hilfreich wäre.