Das Knie- Erster Teil

Da hilft kein Argumentieren, mein Knie ist in den Fritten, die Operation so unvermeidlich wie der Ausgang ungewiss. Ich suche Zuflucht im Allheilmittel unserer Zeit: Dem Internet! Tippe die Diagnose ein und frage Herrn Google nach Lösungen. Sofort stürzen die Informationen auf mich ein, so reichlich wie widersprüchlich. Alles verloren oder alles bald wieder im Lot. Durch komplizierte Techniken mit unaussprechlichen Namen oder Handauflegen und bewusste Ernährung. Alles geht, nichts kann, nur eines steht fest: das neue Wissen macht mich nicht schlauer. Das Internet versteht mich nicht. Eines ist aber klar, ich werde für eine Weile einbeinig durch das Leben stolzieren. Also suche ich »barrierefreies Wohnen auf Zeit«. Das Ergebnis sind Angebote für »tabulose Stundenhotels«.
Entnervt streicht mein Blick über den Bildschirm und entdeckt etwas gänzlich Neues: die Werbung! Nicht die Werbung an sich ist neu, sondern ihr Inhalt. Schöne neue Welt. Verschwunden sind die bunten Anzeigen für Abenteuerreisen. Verschwunden auch der jugendliche Typ Mitte vierzig der mit strahlend weißen Zähnen die Vorzüge der privaten Krankenversicherung in mein Blickfeld lächelt. Ersetzt werden sie durch glückliche Senioren mit Treppenlift, die neueste orthopädische Strumpfmode und den Getränkelieferdienst für Heilwasser: »Wir tragen die Gesundheit in ihre Wohnung«. Die Liste ist komplett, es fehlt nur das Sonderangebot für Feuerbestattung. Offensichtlich ist der Tod der letzte analoge Hort auf dieser Welt. Nicht weiter erstaunlich, auch wenn die Werbung alles über einen Toten wüsste, der kauft trotzdem nichts.
Ich gebe auf, im weltweiten Netz gibt es viel, aber nicht dass, was ich suche. Humpelnd schaffe ich es bis zur Bushaltestelle. Beim Anblick meiner Krücken senkt der Fahrer den Boden seines Gefährts, so dass ich eben einsteigen kann. Vielleicht, so keimt die Hoffnung in mir, findet sich die Empathie im wirklichen Leben. Das scheint sich zu bestätigen, denn die junge Frau auf dem Platz gegenüber erkundigt sich mit ehrlichem Mitgefühl nach meinem Befinden. Sie hört zu, lächelt an den richtigen Stellen und schüttelt genau dort mitleidig den Kopf, wo ich das gerne hätte. So hänge ich an ihren Lippen, als sie im Aussteigen zu ihrem Schlussplädoyer ansetzt:
„Sie müssen sich aber auch darüber freuen, welche Möglichkeiten die Medizin heute bietet. Früher mussten Menschen wie sie sterben, weil sie sich kein Essen mehr besorgen konnten“. Ich schau jetzt doch noch mal ins Internet.