Cowboy und Indianer

„Können sie dafür Sorge tragen, dass ihr Kind sich nicht als Indianer oder Scheich verkleidet, wir wollen Kostüme die keine Stereotype wie Geschlecht, Hautfarbe und Kultur bedienen“, so bat eine Kita in Hamburg ihre Eltern. Da könnte der Rheinländer natürlich sofort in die Falle der Vorurteile tappen, indem er antwortet: Hamburger und Karneval, das ist wie Heringe und Bergsteigen! Alleine schon den Karneval in einem Atemzug mit Sorgen zu nennen. Aber kultursensibel und weltoffen wie es unsere Art ist, denken wir in Ruhe darüber nach.
Natürlich gibt es Kostüme, die einfach nicht gehen. Manche – wie der „Neppesser Negerkopp“ – wurden schlicht von den Zeiten überholt. Andere – wie Donald Trump – haben sich selbst überholt. Und selbst bei diesen Kostümen hängt es noch von der persönlichen Inszenierung ab, das „Eichhörnchen vom White House“ funktionieren gut. Obwohl das natürlich den Teufel diskriminieren könnte.
Was bleibt dann noch als Kostüm, wenn es denn – so der Anspruch – diskriminierungsfrei und vorurteilsbewusst gestaltet wird? Der Cowboy muss mit dem Indianer vermottet werden, denn der gewaltfreie Umgang mit Minderheiten ist keineswegs garantiert. Und so ergeht es auch fast allen anderen. Verkleidest du dich als „Sonnenschein“ dann geht das nur auf Kosten des Regens. Umgekehrt ist „Nieselregen“ als Kostüm nicht nur unpraktisch, sondern marginalisiert alle anderen Formen von Niederschlag. Wie fühlt sich denn ein Hagelschauer, wenn er die ganze Session von lauter „Nieselregen“ umgeben ist?
Auch die Klassiker müssen auf die schwarze Liste. Der gute alte „Lappeclown“ diskriminiert gleich dreifach: Die wahren Clowns dieser Welt, das nordische Volk der Samen und die ehrwürdige Kölner Schneiderinnung. Gerade am Schneider ist der fatale Effekt dieser Diskriminierung deutlich sichtbar: Mailand, Paris und New York stehen für die „Haute Couture“, und nicht etwa Köln, denn bis heute denkt jeder, Kölner Schneider könnten nur Lappen aufnähen.
Probieren wir was anderes. „Appelsinefunke“ klingt erstmal unverfänglich, obwohl natürlich jedes Kind weiß wie schnell bereits ein einzelner Funke ein formidables Feuer entfachen kann. Und im Allgemeinen tritt der Funke nicht alleine auf. Dann noch die Apfelsine davor, eindeutig weiblich und damit sexistisch (Ja, es gibt auch Namen die auf wahre Eigenschaften deuten). Aber das Schlimmste kommt noch, denn das Wort „Apfelsine“ leitet sich vom „Apfel aus China“ her, und das diskriminiert beide, die Chinesen und den deutschen Apfel. Also ist zumindest eine Umbenennung vonnöten, der „Appelsinefunk“ muss „südfruchtfarbiger Kölner Stadtsoldat (Männlich, Schrägstrich, Weiblich, Schrägstrich, Diverse)“ genannt werden.
Allerdings ist die Kostümfrage nicht hoffnungslos. Die eine oder andere Möglichkeit steht den Karnevalisten auch dann noch offen, wenn jedes Vorurteil und auch das letzte Stereotyp ausgeräumt ist. Diese kleine Lücke entsteht an den Rändern des Lebens, dort wo wir Menschen noch alle gleich sind. Als Baby zum Beispiel, alle werden geboren, da kannst Du keinem mit auf die Füße treten, allein weil du noch nicht laufen kannst. Nur eines gilt es zu bedenken: Die Farben blau und rosa müssen unbedingt vermieden werden. Am anderen Ende gibt es dann noch den Sargträger, denn der tut ebenfalls keinem mehr weh. Das schafft auch Möglichkeiten zum Umweltschutz, das Kostüm eines Sargträgers lässt sich kinderleicht aus dem Vampirkostüm basteln, einfach das Blut und die spitzen Zähne weglassen.
Wer das beides nicht mag, dem bleibt nur das rot-weiße Kostüm als Fan des 1.FC Köln. Wenn die singen „Nie mehr zweite Liga“, dann könnte man in Bielefeld oder Sandhausen eine Diskriminierung reklamieren. Könnte man! Es wird aber kein Sandhäuser oder Bielefelder Fan jemals auf die Idee kommen, denn sie alle wissen genau: Der FC kommt wieder, denn nach dem Aufstieg ist vor dem Abstieg. Obendrein würden die Fans des FC diese Zeile auch dann noch schmettern, wenn sie gerade in die dritte Liga abgestiegen sind.
Doch damit erschöpft sich auch die Welt der diskriminierungsfreien Kostüme. Also müssen wir das Dilemma anders lösen, mit Mitteln, die dem kölschen Karneval seit Anbeginn zu Eigen sind: Das Problem wird liebevoll umarmt und dann einfach mundtot gebützt.
Daher verkleide ich mich im nächsten Jahr als „barrierearmer Kitaleiter“. Auch das funktioniert sicher nicht ohne Ausgrenzung. Die aber mache ich transparent und verteile statt Kamelle mein Manifest. Ein engbedrucktes Pamphlet in dem auf achtzig Seiten alle denkbaren und undenkbaren Missverständnisse erläutert, diskutiert und nachhaltig ausgeräumt werden. Irgendwo im Kleingedruckten auf Seite achtundsiebzig verstecke ich ein Preisausschreiben. Der Hauptgewinn ist eine Packung Schaumwaffeln und alle dürfen daran teilnehmen, auch die indigenen Völker Nordamerikas.

Aschermittwoch

Spätestens der Aschermittwoch spült die melancholischen Gedanken in das kölsche Gemüt, umso mehr je weiter das von Köln entfernt ist. Zeigen kann der Kölner das natürlich niemandem, aber es treibt ihn um, tief im Herzen. Sofern er das nicht in den tollen Tagen verschenkt hat, und vergessen es wieder einzusammeln. Der nächste Karneval ist weiter entfernt denn je, der Blick nach vorne verheddert sich in der grauen Fastenzeit und das Jetzt leidet unter Restschminke. So bleibt nur der Blick zurück in die gute alte Zeit, denn dort in seinen Erinnerungen findet er die Rettung. Keiner überlebt in dieser Stadt, ohne eine Sammlung ganz eigener Erinnerungen an den Karneval, eine Kiste voller Erlebnisse, die sich – wie die Kiste mit den Kostümen- von Jahr zu Jahr weiter füllt.

So ergeht es natürlich auch mir, dem Imi. Niemand hegt auch nur den Funken eines Zweifels daran, dass der Zugereiste mit Herz und Seele Karneval feiert. Allerdings geht es dem Karnevalisten wie dem Skifahrer: Nur wer es mit der Muttermilch lernt, wird die perfekte Geschmeidigkeit erreichen. Bei allen jedoch sammelt sich über die Jahre ein persönlicher Vorrat an Karnevalserinnerungen, Wundermittel im Kampf gegen den Aschermittwochsblues:

Mein erster Karneval in Köln. Die Studentenbude bietet den sicheren Hafen für den Karnevalsbesuch aus der provinziellen Heimat. Also lautet des Gastgebers erste Pflicht: Nahrung sicherstellen; fest und flüssig. Und das spätestens an Weiberfastnacht, denn danach werden die Geschäfte geschlossen, zumindest zu den Tageszeiten, an denen sich ein Student im Laden sehen lassen kann. An der kombinierten Fleisch-Käsetheke des Supermarkts beginne ich zu verstehen warum es Weiberfastnacht heißt: ich bin von Frauen umgeben. Vor mir die Verkäuferin – mutig als Huhn verkleidet – hinter mir ein Papagei und ein Lappenclown, die gemeinsam über mehr als hundert Jahre Lebens- und Karnevalserfahrung verfügen.

Käse verlange ich zunächst, und zwar Gouda, ein großes Stück. Andere Käsesorten sind mir in dieser Lebensphase noch fremd, außer Schmierkäse in Dreiecksform und Babybel, aber der darf sich nicht Käse nennen. „Darf es ein Stück von dem alten Gouda sein?“ Wenn es nach der Stimme geht, so hätte sich die Verkäuferin als Hahn verkleiden sollen, ihre Frage ist auch noch im letzten Winkel des Supermarktes zu verstehen. Natürlich lehne ich ihr Ansinnen ab, der Käse muss über das lange Wochenende halten, da kann ich keinen gebrauchen, der jetzt schon alt ist. Papagei und Lappenclown hinter mir amüsieren sich köstlich.

Wenn ich meine Kompetenz in Sachen Käse noch als passabel bezeichnen würde, so musste ich im nächsten Schritt auf wirklich dünnes Eis: Ich will Rindersuppe kochen. Dafür benötige ich Fleisch, besitze jedoch keine Ahnung welches und wieviel. Ich bin nur froh, dass ich mich gegen Hühnersuppe entschieden hatte. In solcher Not hilft nur die Flucht nach vorne unter die hoffentlich warmen Flügel des Metzgereihuhns, dem ich mein Begehren und meine Unwissenheit beichte.

„Da nehmen sie ein Stück hohe Rippe und einen schönen Markknochen und dann passt das“,

so lautet ihre Diagnose und sie beginnt, die entsprechenden Teile abzuwiegen. Ein Fehler, der nicht ungestraft bleiben wird, denn sie ignoriert eine Grundregel der rheinischen Demokratie die da lautet: »Jeder der denkt, er müsste etwas sagen, wird gehört«. Die beiden Damen hinter mir mögen in ihrem Leben zehntausende von Suppen gekocht haben und werden nicht befragt? Es wäre nicht Köln wenn sie ihr Wissen nicht auch ungefragt preisgeben würden. Ohne seine Enttäuschung zu verhehlen, beginnt der Papagei:

„Also du närrisches Huhn, das ist doch Quatsch, Leiterstück braucht der Junge, damit es eine richtige Suppe gibt“.

Einsatz Lappenclown: „Das wird nichts, der ist Anfänger. Beinscheiben muss er nehmen und einen Ochsenschwanz“.

Das Huhn wagt zu widersprechen, immerhin sei es gelerntes Fleischereifachverkaushuhn!

Dieses Argument bringt die beiden Damen keineswegs zur Ruhe. Im Gegenteil, der Papagei wirkt mit den Händen an den Hüften und hochrotem Kopf wie eine mittelalterliche Marktschreierin und der Lappenclown geht dazu über, seine Argumente mit dem Trommelstock zu untermauern.

Im Auge dieses Sturms entsteht ein kleiner Moment der Ruhe, den ich schleunigst ausnutze und einfach von allem etwas ordere, Leiterstück, Beinscheibe, Markknochen, Ochsenschwanz und hohe Rippe landen in meiner Tüte. Die Suppe war nicht günstig, aber hervorragend. Wer sagt denn, dass ein Kompromiss immer auf dem kleinsten gemeinsamen Nenner enden muss.

Ein Zeichen

Abergläubisch?

Bin ich selbstverständlich nicht! Zumindest glaube ich fest daran, es nicht zu sein. Wann immer Aszendent, Kristallkugel, Gespenster, Erscheinungen oder Wunder auftauchen, fühle ich diese Mischung aus Unsicherheit und Überlegenheit, die an guten Tagen eine tolerant lässige, und an schlechten eine diskriminierend gehässige Reaktion erzeugt.

Nun geht es mir damit aber ebenso, wie vielen Buddhisten mit dem Verzehr von Fleisch. Obwohl sie kein Tier schlachten wollen, essen sie trotzdem gerne Fleisch und gelegentlich stürzt ja eine Kuh über eine Felskante und muss dann auch zum Besten genutzt werden. Ebenso wenig führt mein Mangel an Aberglaube dazu, dass ich darauf verzichten muss, an Vorzeichen zu glauben. Die feine Unterscheidung zwischen Glauben und Aberglauben überlasse ich dann lieber den Experten.

Jedenfalls habe ich heute ein Zeichen bekommen, welches den Plan des Sabbatjahres endgültig besiegelt und zwar in der chemischen Reinigung in Köln-Longerich. Zugegeben das ist nicht der erste Platz an dem ich nach Erscheinungen suchen würde. Nun hatte ich auch keine Erscheinung, eher genau das Gegenteil, nämlich ein Verschwinden. Ein Anzug aus meinem Reinigungsauftrag scheint nachhaltig verschwunden zu sein. Alles andere hing schön glatt auf den üblichen Bügeln, aber den einen Anzug konnte der Geschäftsführer mir – auch nach intensivster Suche – nicht aushändigen.

Ich war durchaus bereit persönlich durch die Ständerreihen zu marschieren: es gab so viel, da müsste sich doch was finden lassen, was mir passt und gefällt. Das war dem Besitzer aber auch nicht recht und das Argument „Da hän ich dat Problem ja morje ens wigger!“ war auch nicht von der Hand zu weisen.

Also gab es statt des Anzugs, „Cash in de Täsch“. Unter normalen Umständen kein gutes Geschäft für mich, denn der eigentliche Wert eines Anzugs liegt nicht im Kaufpreis, sondern im Kaufprozess. Zeit und Menschenwürde muss ich in Ankleidekabinen investieren, zumal mein Körper zwar nicht außergewöhnlich ist, sich aber immer genau zwischen den Normen der Kleidungsindustrie befindet.

Aber, in diesem Fall war es ja ein Zeichen. Das Zeichen, dass in diesem Jahr Bargeld wichtiger ist als Nadelstreifen. Sofort habe ich die alte Erkenntnis meines Großvaters vor Augen, die er in schweren Kriegszeiten in Köln gewonnen hat: „Die Rheinländer tragen sogar ihr Bett in das Pfandleihhaus, wenn sie Karneval feiern wollen“! Was er noch nicht wusste, ist, dass sie auch ihren letzten Anzug versetzen um sich ein Sabbatjahr leisten zu können. Aber verstanden hätte er es.

Karnevalstherapeut

Ich bin auf der Suche, der Suche nach einem neuen Beruf. Nicht für mich, sondern für uns alle. Also natürlich nicht für alle von uns, sondern einfach einen der deshalb neu ist, weil es ihn bisher noch überhaupt noch nicht gibt, den bisher noch niemand ausübt.

Weshalb ich danach suche? Das ist schnell erklärt, ich suche einen Gegenpol zu all den neuen Berufsnamen, die aber nur neuer Name und selten neuer Inhalt sind. Wie der „Speiseeishersteller“, im letzten Jahr hat der erste Jahrgang die Ausbildung beendet. Klar, und bis dahin waren das alles Italiener die das Rezept von ihrer Mama in Sizilien geklaut hatten!  Oder der „Systemgastronom“, bis zur Erfindung dieser Berufsausbildung, haben bei McDonalds wohl nur genau die Sterneköche Hamburger gewendet, die heute den Fernsehkoch im Privatfernsehen geben.

Ein Studiengang zum „Virtuellen Industrieingenieur“ in Tuttlingen ist zwar vielleicht neu, aber der muss sich dann sowohl das Karo Hemd als auch den Samenstau selbst am Computer programmieren. Mir scheint, nicht alles was neu ist macht deshalb auch gleich Sinn.

Im Gegensatz dazu bin ich auf der Suche nach wirklichen neuen Berufen, welchen die gebraucht werden und die unsere Gesellschaft einen Zusatzwert schaffen. Solche, die nicht nur eine Person ernähren, sondern das Gemeinwesen. Meine bisher beste Entdeckung ist der Beruf des Karnevalstherapeuten.

Wenn Du jetzt glaubst der Karnevalstherapeut soll den Karneval therapieren: Schöne Idee wenn Du aus Westfalen kommst, aber natürlich völlig daneben. Der Musiktherapeut therapiert ja auch nicht die Musik. Obwohl, bei so mancher Musik wäre das vielleicht gar keine so dumme Idee.

Beim Karneval hingegen ist die Idee völlig abwegig. Beethoven, Bap oder die Toten Hosen, die bekommst Du zumindest theoretisch auf die Couch, aber den Karneval niemals. Bestenfalls schleppt der Dich in die nächste Kneipe.

Nein, Therapie durch Karneval ist die Berufung des glücklichen Karnevalstherapeuten. Der Karneval therapiert Dich, im Rheinland eine Tradition, sozusagen ein Naturheilmittel, wie Aspirin in der Atemluft. Jeder wird therapiert und ist gleichzeitig Therapeut. Eulen nach Athen zu tragen, oder Printen nach Aachen wäre sinnvoller als die Arbeit eines Karnevalstherapeuten in Köln.

Aber in der Diaspora, in Münster, in Hamburg, in Schwaben, Oberösterreich, Paris, London, New York, praktisch überall außer im Rheinland und in Brasilien ist das Potential millionenschwer. Einfach eine Weltkarte hochhalten und schon wird Dir das Venture Kapital in breiten Strömen zufließen.

Aber wie so häufig ist der Segen auch Fluch zugleich, diesmal einer der meine ganze schöne Idee zum Wanken bringt. Was nützt mir ein Beruf der nur an solchen Orten ausgeübt werden kann, an dem die Zivilisation es noch nicht geschafft hat den Karneval zu entwickeln? Manche Dinge kann man einfach nicht analysieren, die müssen einfach gefeiert werden, also: „Kölle Alaaf.“