Der Tell, die Schweiz und der Putin

Ihr lieben Schweizer*innen im Geist und im Land,


Ihr seid mir Nachbarn, Freunde und Vorbild, und manchmal einfach unverständlich. Gelegentlich braucht es den einen, der neutral bleibt und am Ende vermittelt und die Neutralität liegt euch im Blut. Aber, Hand aufs Herz, wie oft wird diese Rolle in der Weltgeschichte wirklich besetzt? Und warum sollte ein russischer Despot eiskalt die Welt belügen und dann dem Schweizer Schlichter folgen? Vorher bleiben alle Schweizer Uhren gleichzeitig stehen.
Vielleicht wollt ihr aus Prinzip neutral bleiben. Einfach so, weil es einfach ist. Ich bin unendlich dankbar, dass ihr beim letzten Knall dem Carl Zuckmayer und dem Erich Maria Remargue eine Heimat gabt. Lest ihre Texte. Dann wird keiner mehr „neutral“ und „prinzipiell“ in einen Satz packen.
Bleibt das ewig gleiche Motiv: Geld, Wirtschaft und Wohlergehen. Glencore, Vigol und Trafigura sind die umsatzstärksten Unternehmen eures Landes. Und das ist nur der Anfang der Liste, sieben der zehn größten Schweizer Firmen fallen in diese Gattung. Das Geschäft sind Rohstoffe, solche die aus Russland kommen und solche, deren Preise durch den Krieg kräftig steigen. Wer die für neutral hält, dem fehlen die Neuronen, sagen die Skeptiker. Ich frage mich: Wo bleibt die Verbindung zwischen Besitz und Verpflichtung?
Geschäftssinn hin oder her, in der Schweiz, die ich liebe, da lebt er noch: Der gesunde Menschenverstand! Der Tell war für eine Zeit Adolf Hitlers Lieblingswerk, bis er 1941 verstand, dass mancher Leser auch ihn für den Landvogt halten könnte. Dann landete Schillers Werk auf dem Index. Gegen die Liebe Hitlers für Nationalepen hilft nichts mehr, gegen Putins Liebe zum Füllen der Kriegskasse lässt sich etwas tun.
Ich freue mich über eine neutrale Schweiz, ein Land mit Stolz und Selbstbewusstsein, ein Land das der EU-Grenzen aufzeigt, eines das anders ist und eigene Wege geht. Aber Neutralität gegenüber Angriffskriegern gibt es nicht. Demokratie ist wichtiger als Geld und Haltung wichtiger als Deckung.
Macht morgen eine Volksabstimmung, wenn es sein muss, friert die russischen Gelder ein und taut sie erst wieder auf, wenn Frieden und ein wenig Freiheit zurückgekehrt sind. Das ist Neutralität, da einen sich die Demokraten und da trifft sich auch Europa wieder, ohne einander zu übertreffen.
Putin hat den Apfel auf den Kinderkopf gelegt, trefft ihn in der hohlen Gasse. Welch ein Zeichen, welche Wirkung, wenn die kleine Schweiz die große Fahne der Menschlichkeit hisste. Es ist eure Chance, bitte nehmt sie wahr!

Nur Ein Leben? – Dhammapala Teil 2

„Aus Achtsamkeit entsteht Todlosigkeit“, mit diesem Zitat begrüßt uns der Abt. Damit steht fest: Ein Poet war er nicht dieser Buddha, oder aber er hatte einen miserablen Übersetzer.

Wir schreiten zur Gehmeditation, im Vergleich zu den körperlichen Herausforderungen des Sitzens eine Wohltat. Zwanzig Schritte langsam geradeaus gehen, rumdrehen, den Boden spüren, zurückgehen und dann das Gleiche wieder von vorne. Acht Atemzüge pro Strecke, plus vier für das Wenden und Spüren. Unter der achtsamen Alpensonne eine leichte Übung.

Vordergründig zumindest, denn das Ziel der Sammlung ist weiter entfernt denn je. Alles was die Natur hervorbringt, hat sich versammelt um mich abzulenken. Kuhglocken läuten direkt neben mir, die Kirchenglocken etwas weiter entfernt. Das frisch geschnittene Gras duftet mit den Kühen um die Wette und Hummeln knattern den Bass für den Sopran der Fliegen. Eindeutig für Fortgeschrittene, auch wenn wir uns gar nicht vorwärts bewegen.

Auch das Bild der Gruppe ist beachtlich, dreiundzwanzig erwachsene Menschen die bedächtig auf der Wiese hin und her wandern. Es fehlt noch eine flexible Stange in jeder Hand gedrückt und die Bergwacht hätte einen neuen Lawinensuchtrupp. Allerdings einen, der bestenfalls einen verschütteten Kuhfladen retten kann.

Nach einigen Minuten schaffe ich es dann doch, mich auf den kleinen Pfad zu konzentrieren, den ich inzwischen in die Wiese getrampelt habe. Wie lange müsste ich wohl auf und ab laufen um einen echten Hohlweg zu schaffen? Sind die Bilder von Kornkreisen alle in der Nähe buddhistischer Kloster entstanden? Schon wieder bin ich abgeschweift.

Aber während ich weiter den Kühen das Futter plattstampfe, wird eines klar: „Ich weiß gerade was ich mache!“. Die Reduktion erzeugt intensive Gedanken, reduziert den Wein der Ideen zum Cognac des Wissens.

„Ein Jahr reisen! Mach das, Du hast nur ein Leben“. Diesen Satz habe ich zuletzt sehr häufig gehört. Gedacht habe ich ihn natürlich auch und immer hat mich etwas daran gestört. Hier auf der buddhistischen Wiese wird mir plötzlich klar was falsch ist. Ich habe nicht nur ein Leben. Im eintönigen Auf und Ab wird mir bewusst, dass ich ein Leben habe. Ein wunderbares Leben ganz ohne „nur“.

„Aus Achtsamkeit entsteht Todlosigkeit“. Das klingt noch immer reichlich sperrig. Vielleicht ist es aber auch so, dass sich nicht jeder wichtige Gedanke in poetische Worte kleiden lässt.