Nördlich des Polarkreises existieren im Winter nur zwei bedeutsame Orte, Natur und Sauna. Den Aufenthalt im Freien begrenzt der Frost, die Hitze der Sauna lässt sich trainieren. Also brauche ich ein Schwitzbad um den Schock der Ankunft in Kiruna zu verarbeiten. Die Stadt draußen lässt es sich nur schwer ertragen und das nicht aufgrund der Kälte.
Kiruna hat sich seit meinem letzten Besuch aufgespalten, der Preis für den Erzbergbau. Eine neue Stadt ist entstanden, auf halber Strecke zwischen dem Flughafen und dem bisherigen Standort. Glas, Stahl, Beton, und hohe Häuser, eine Bewerbungsmappe für Architekturpreise. Das »alte« Kiruna – ist vergreist und zusammengeschrumpelt. Die Weihnachtsbeleuchtung versucht tapfer, Leben und Zukunft vorzugaukeln, und wirkt dabei wie ein blinkendes Beatmungsgerät. Meinen Spaziergang breche ich bald ab, sterbende Städte sind kein schöner Anblick. Und doch bin ich mir sicher: Die Seele des Ortes steckt hier im alten Kiruna. Ob sie umzieht weiß niemand, auch nicht wohin, aber sie wird die Letzte sein.
An der Rezeption begrüßt mich eine Frau um die Zwanzig, sie trägt einen Beanie über den roten Haaren und ein Tattoo oberhalb der linken Augenbraue. »Devoted« steht dort in großen schwarzen Lettern. Die Message passt auf jeden Fall zu der Form. Und zum Norden, die raue Welt lässt wenig Raum für subtile Hinweise. Was zu sagen ist, sagt man sich ins Gesicht. Oder schreibt es direkt drauf.
Ich hatte die Wahl, ein optimiertes Hotelzimmer in der neuen Stadt für mich alleine oder ein Bett im Schlafsaal für Männer hier in einem der Holzhäuser des alten Kiruna. Jede knarrende Diele erinnert mich daran, dass ich richtig entschieden habe. An der Theke, die sich den Platz mit der Rezeption teilt, sitzen drei junge Männer, auch sie tragen alle eine Mütze auf dem Kopf, irgendwie fühle ich mich nicht komplett angezogen.
Der Männerschlafsaal bietet, was ein guter Schlafsaal bieten muss, sechs Betten im klassischen Doppelstock, sechs kleine Schränke, drei Lampen, drei Steckdosen und wenig Gerüche. Dazu ein Holländer, der sich mit Handy und Kopfhörer vom Rest der Welt – der gerade aus mir besteht – getrennt hat. Kein Grund zum Verweilen, mutig beziehe ich eines der oberen Betten und folge den Schildern in Richtung Sauna.
Beim Öffnen der Tür strömt mir wohlige Wärme entgegen, ein gemütlicher Vorraum, Sofas an den Wänden, Tische davor, ein Stapel weißer Handtücher, ein Kühlschrank, Haken für die Kleidung und eine Glastür, die zur Sauna führt. Mehr braucht es nicht. Außer vielleicht einer Dusche und einer Toilette. Die Dusche ist schnell gefunden und genutzt. Die Toilette finde ich genauso schnell, nur benutzen mag ich sie nicht. Nicht weil sie nicht sauber wäre, das Haus und alles darin ist zwar alt aber makellos sauber. Die Lage ist es, die mich stört, das Pissoir steht vor der Sauna, genauer gesagt gleich vor deren Panoramafenster. Wenn man sich davorstellt, schaut man direkt hinein, zwei Männer und eine Frau sitzen entspannt auf den Saunabänken. Die Aussicht von drinnen mag ich mir gar nicht vorstellen. Hoffentlich baut dass im neuen Kiruna keiner nach.
In der Sauna werde ich auf Schwedisch mit großem Hallo begrüßt und halte eine kalte Dose Bier in der Hand, bevor ich verstehe, worum es geht. Die Schweden wechseln zu Englisch, als sie die Fragezeichen in meinen Augen erkennen. Es sind drei Geschwister und sie brauchen Hilfe bei ihrer Saunatradition. Dabei wird vor dem Saunagang der Aufgusseimer mit eiskaltem Wasser und einem Sixpack gefüllt. Die Regel ist so einfach wie streng: Keiner verlässt die Sauna, bevor die Dosen leer sind. Ich helfe gerne.
Als wir wieder im Vorraum ankommen sitzt dort die tätowierte Frau mit den drei Typen von der Bar. Es war nichts los, also haben sie zugesperrt und sind zum gemütlichen Teil des Abends übergegangen. Vor Ihnen steht ein Dutzend Weinflaschen, alle geöffnet und halbleer. Gestern war eine Gruppe dänischer Touristen zum Essen hier, erklären sie mir und es ist offensichtlich, dass die Beziehung der Schweden zu ihren dänischen Nachbarn kompliziert ist. So begründen sich auch die Weinflaschen. Die unverständlich nuschelnden Dänen aus ihrem lächerlich kleinen Land haben viel getrunken. Das schwedische Team des Restaurants dafür bereitwillig neue Flaschen geöffnet, reich sind sie ja die Dänen. Aber nicht trinkfest, gerade als die Stimmung bestens war, sind die Besucher in ihre Betten gekrochen. Ihre dicke Rechnung haben sie bezahlt, die Flaschen zurückgelassen. Der finale Beweis dass mit den Dänen irgendwas nicht stimmt. Aber deswegen ist es heute gemütlich.
Wir setzen wir uns dazu, Gläser und Flaschen werden herumgereicht und ich lausche dem Gespräch in Schwedisch. Nichts entspannt mehr als eine freundliche Unterhaltung in einer Sprache, die ich nicht verstehe. Die einen tragen auch hier ihre Mützen, die anderen ein winziges Handtuch. Höflich wie sie sind, werde ich bald auf Englisch einbezogen. Ich frage nach den Mützen, ja das sei normal, sie immer zu tragen. Zum Beweis nimmt die Rezeptionistin ihren Beani ab. Ihre Haare sind nur an den Seiten rot. Oben zu färben lohnt sich nicht, das sieht unter der Mütze niemand.
Wir reden über den Umzug der Stadt, in zehn Jahren soll er abgeschlossen sein. Auch das Hostel steht nur noch hier, weil es zur Zeit kein Baumaterial gibt. Das neue Gebäude sollte bereits vor Monaten fertig sein. Jetzt leben sie von Tag zu Tag, nächsten Monat kann es soweit sein, oder im Sommer. Jedenfalls noch in diesem Jahr, die Ungewissheit nervt. Vier Menschen in der Runde sind in Kiruna geboren und möchten hierbleiben. Zwei Herzen schlagen in ihrer Brust, der Umzug fällt schwer, doch sie wissen auch, dass es ohne das Eisenerz kein Kiruna geben würde. Wer im Tourismus arbeitet verdient nur halb so viel wie im Bergbau, also wechseln sie ab. Den Sommer in der Mine, den Winter im Hotel, ihre Freunde machen es genau andersrum.
Sie sind jung, da ist es okay, ihren Eltern fällt es schwerer. Dennoch haben sie Angst, denn die Bergbaugesellschaft hat sich vertan. Auch die neue Stadt könnte den Baggern anheimfallen, sie steht ebenfalls auf einem Erzflöz. Bis 2060 ist der neue Standort sicher, solange garantiert es die Erzfirma. Dann muss Kiruna abermals umziehen, vielleicht ja wieder zurück an den alten Platz, so träumen die jungen Nordländer. »Am besten packen wir die ganze Stadt auf Räder, damit wir sie hin und her schieben können.«, schlägt einer vor und hebt sein Weinglas, »dann kommen noch mehr dänische Touristen.«
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Sprache 1: Finnland
„Do you see the ghost”?
Gehorsam folgten meine Augen dem ausgestreckten Zeigefinger der freundlichen Dame, aber außer einem einsamen See mit einigen waldbedeckten Inseln war nichts zu erkennen, was auch nur annährend an einem Geist erinnerte. Schwierig ist sie, die Verständigung hier in Nordfinnland, außer „Sauna“ hatte ich in dieser Sprache noch kein Wort gefunden, dem ich eine Bedeutung zuweisen konnte. Auch Worte die sich in den meisten anderen Sprachen ähnlich klingen, sind hier vor allem eines: vollkommen anders. So heißt das Telefon „Puhelin“ und wer von eins bis drei zählen möchte muss sich mit „yksi, kaksi, kolme“ anfreunden.
Etwas hatte ich allerdings inzwischen gelernt: „Möki“ heißen sie, die rot-weißen Ferienhäuser von denen ich gerade eines mieten wollte. Ich hatte keine Ahnung ob der unsichtbare Geist durch meine Frage nach dem „Möki“ hervorgerufen wurde oder zufällig zur gleichen Zeit erschien. Mir blieb auch keine Zeit darüber nachzudenken, denn die Finnin verlor die Geduld mit dem begriffsstutzigen Deutschen.
Sie griff energisch meinen Arm, zog mich aus der Hütte und auf einen kleinen Brettersteg, sehr zur Freude der Mückenschwärme. Resolut drückte sie mir ein Paddel in die Hand um gleich darauf, zunächst auf ein wackliges Kanu und danach wieder hinaus auf den See zu deuten: „You see the ghost“?
Wahrscheinlich war es die heilende Wirkung der Mückenstiche, denn langsam begann ich zu verstehen. Das Ferienhaus lag auf einer Insel und bei dem vermeintlichen Geist handelte es sich um deren „coast“. Die Küste, die ich mit dem Kanu ansteuern sollte um es zu erreichen: mein „Möki“. Und dieses Ferienhaus hatte dann sogar eine Sauna.
Saunahütte
Eines muss man ihm lassen, dem schwedischen Tourismusverband: seine Experten wissen worauf es bei einer Berghütte ankommt. Die Fjällstuben sind denkbar einfach und pragmatisch gestaltet, mit vielen Stockbetten und gänzlich ohne Schnickschnack. Die eigentliche Offenbarung dieser abgelegenen Quartiere liegt aber häufig leicht versteckt und etwas abseits der Schlafquartiere: die Saunahütte, strategisch günstig am nächsten See oder Fluss gelegen.
„Ja, die Sauna ist schon eingeheizt“, erklärt mir der Hüttenwart. Das bedeutet in Rekordzeit das Zelt aufbauen, eines der schwedischen Biere kaufen die nur in der Sauna halbwegs nach Bier schmecken und rein in die holzgeheizte Schwitzhütte. Nur einer ist noch schneller als ich, mit einem breiten Grinsen sitzt der Hüttenwirt bereits in den Dampfschwaden. Endlich warm, eine Wohltat für die Muskeln nach der langen Wanderung, hier bleibe ich.
Irgendwann schreit mein Körper dann doch nach Abkühlung. Natürlich habe ich keinen Bademantel oder Saunatuch in die Berge geschleppt. So stehe ich, das schmale Wanderhandtuch am letzten Zipfel um die Hüfte geknotet, vor der Saunahütte an der frischen Luft. Etwas zögerlich kommt eine ältere Frau auf mich zu, offensichtlich Teil einer japanischen Wandergruppe. Sie spricht wohl kein Englisch und ihr Japanisch kommt mir eher Spanisch vor, das Wort Sauna verstehe ich aber doch.
Mit einladender Geste weise ich auf die Hütte hinter mir: „Ja hier ist die Sauna!“. Ganz im Sinne japanischer Höflichkeit, legt die Japanerin die Hände vor der Brust zusammen und verbeugt sich elegant. Da will ich freilich nicht nachstehen und tue es der Japanerin gleich, Hände vor die Brust und verbeugen. Das ist jedoch zu viel für den Knoten im kleinen Handtuch, die Hände sind zu weit entfernt um helfend einzugreifen und folglich wird das Handtuch zum Opfer der Schwerkraft.
Die Japanerin hat es da schon einfacher, sie muss ihre Hände nur ein klein wenig höher heben um ihr Kichern zu verbergen. Selbst unter der Mitternachtssonne Skandinaviens wünscht man manchmal Dunkelheit herbei.
für Manfred