Dhammapala, Schweiz (Teil 1)

Fünfzehn Minuten meditieren! Das klingt nach einer lösbaren Aufgabe, zumal ich auf einem bequemen Stuhl sitze und nicht wie die Mehrzahl der Anderen, in einer fortgeschrittenen Yogahaltung auf dem Boden. Nur mehr als eine Stunde ist seit meiner Ankunft in dem buddhistischen Kloster vergangen und schon ist vieles anders. Wecken um 5:30, die letzte Mahlzeit des Tages um 11:30, Hausputz um 8:00. Meine Aufgabe wird die Toilettenreinigung sein, schlafen soll ich im oberen Stockbett, das Zimmer mit Menschen geteilt, deren Stimme ich noch nie vernommen habe. Aber übermäßiger Schlaf ist sowieso nicht angesagt, reden überhaupt nicht, dafür achtsam meditieren. Viel anderes bleibt ja wohl auch nicht übrig.

Wie funktioniert es nun, das Meditieren? Da keiner sich die Mühe macht Anweisungen zu kommunizieren, krame ich das Wenige zusammen was ich gelesen habe: „Zunächst die Augen schließen und an nichts denken!“. Sollte doch möglich sein, einfach das Samstagsabendprogramm aus dem Fernsehen kopieren und ich bin dem Nichts sehr nahe!

Ein guter Ansatz, aber selbst der Gedanke an den Musikantenstadl wühlt eine wahre Flut an Gefühlen auf; bunt bebildert und in rascher Folge. Also ändere ich meinen Plan und versuche es mit offenen Augen, den Blick fokussiert auf etwas vollkommen Unverfängliches. Das ideale Hilfsmittel ist schnell gefunden, der unschuldige Holzpfahl eines Weidezauns drängt sich geradezu auf.

Leider ist dieser Pfahl eine Ausnahme unter seinesgleichen. Anstatt nichtssagend am Feldrand zu stehen, beginnt er Fragen aufzuwerfen, eine nach der anderen: „Aus welchem Holz bin ich? Wo sind die Wurzeln meines Baumes? Und warum stehe ich überhaupt hier rum?“, so prallt es unbarmherzig auf mich ein.

Nach einer Weile greife ich in meiner Not zum Äußersten und schicke den Pfahl in die Schreinerei. Die Bandsäge soll Zahnstocher aus ihm machen und damit seine vorlauten Gedanken zerstreuen.

Augen wieder zu und auf zum nächsten Versuch. Die Schreinerei lasse ich aber gleich stehen und schiebe alle Gedanken die sich aufdrängen, direkt zum Schreddern in die Bandsäge. Dem Zaunpfahl folgen meine Packlisten, eine Blumenwiese, ein Sperrmülltermin und die gerade erst entdeckte kosmische Hintergrundstrahlung, die sonst den Urknall hätte belegen können. Für eine Weile geht das recht gut, bis sich mein Gehirn daran gewöhnt hat, die Schreinerarbeiten gemütlich im Hintergrund verrichtet und mich aufdringlich fragt: „Ich habe Zeit und freie Kapazität, woran sollen wir jetzt zusammen denken“?

Positiv betrachtet ist das wohl der erste Erfolg, es ist der Beginn mich selbst von außen zu beobachten. Das gleiche schafft aber auch die Fliege die jetzt auf meinem Gesicht landet. Damit kann ich mich vollständig auf das Kitzeln konzentrieren das sie erzeugt. Knapp drei Minuten sind bereits verstrichen.

Irgendwann ertönt der Gong und markiert das Ende der längsten fünfzehn Minuten dieses Jahres. Ob ich wirklich meditiert habe weiß ich nicht, aber es fühlt sich durchaus gut an.

Dann folgt der erste Satz des Klosterabts:

„In unserer Meditation geht es nicht darum auch noch den letzten Gedanken zu vertreiben,…“ Ganz prima, jetzt werde ich noch in zwanzig Jahren jede Meditation mit dem Gedanken an die zu Unrecht vertriebenen Gedanken beginnen.

„Anfänger haben einen großen Vorteil“, fährt er fort und ich lausche gespannt: „Ihre Offenheit! Wenn sie nicht schon vorher irgendwelche Erwartungen aus Büchern gesammelt haben“. Jetzt fühle ich mich nicht nur wie ein Anfänger, sondern auch wie ein allzu offenes Buch.

„Um Wohlwollen geht es in der Meditation, zunächst einmal dem Anderen gegenüber“. Verschämt sammle ich die kleinen Zahnstocher wieder ein und versuche sie wohlwollend wieder zu einem Zaunpfahl zu vereinen. Das Ergebnis sieht aus wie Stäbchenparkett, ich war noch nie ein geschickter Handwerker.

„Wichtig ist es auch sich selbst mit Wohlwollen zu begegnen“. Kann der Mann Gedanken lesen? Kurz regt sich Widerstand in mir, er selbst hat doch gerade mein schlechtes Gewissen angefacht und jetzt soll ich mir plötzlich wohlgesonnen sein?

„Das ist wichtig, aber einfach ist es nicht!“

Soviel zumindest habe ich inzwischen auch verstanden.

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Fortsetzung folgt….

Zeit und Geld

Ausgerechnet ein Parkscheinautomat? Noch dazu mitten in der Nacht am Flughafen? Im Normalfall verkünden Parkscheinautomaten keine großen Weisheiten und starke Gefühle schaffen sie auch nicht. Meistens sind sie darauf beschränkt gut sichtbar und verwurzelt zu stehen um Geld einzusammeln. Doch dieser hier ist vollkommen anders.

Ich kenne ihn schon von unzähligen Dienstreisen, bisher hat er sich immer so benommen wie andere Parkautomaten auch, er verwandelt Zeit in Geld. Kreditkarte rein, Parkticket raus, mehr ist zwischen uns nie gewesen. In seiner Mitte blinkt noch einer dieser altmodischen Bildschirme, zwei Zeilen in unscharfer Pixelschrift, auf denen 15:21 so wie 12:51 aussieht, wenn man von oben draufschaut. Doch heute überrascht er mich in seinem fröhlichem Rot mit der Nachricht „Ihre Kreditkarte ist ungültig“, das „ü“ durch ein verwaschenes „ue“ ersetzt.

Ungläubig schaue ich ihn an, doch dann beginne ich zu verstehen. In Finanzfragen ist mein Arbeitgeber effizient und konsequent: die Firmenkreditkarte ist bereits gekündigt. Was ich hier gerade erlebe ist das erste untrügliche Zeichen: Das Sabbatjahr steht vor der Tür, liebe Welt ich komme!

Natürlich nur, wenn es mir gelingt genügend Bargeld für den Parkautomaten aufzutreiben, ansonsten ist schon am Flughafen Köln Feierabend. Einen Euro nach dem anderen füttere ich der hungrigen Maschine und mit jeder Münze erstrahlt meine Erkenntnis heller: Ich kaufe Zeit für Geld!

Früher schien es mir unverständlich, dass jemand für meine Zeit viel Geld bezahlt. Aber, das Geld verliert mit der Zeit an Wert, ganz im Gegensatz zur Zeit. Ein wenig Zeit vermag ich mir zu kaufen, aber ihren Lauf wird das nicht ändern. Leichte Melancholie macht sich in mir breit und das merkt wohl auch der betagte Automat. Während er meine Quittung druckt, flüstert er mir ratternd zu: „Entspann Dich! Alles ist gut und Du gehst freiwillig auf Weltreise. Es ist ja nicht als würdest Du nach Düsseldorf ziehen“.

Geisterfahrer

Einmal so richtig gegen den Strom schwimmen! Anders sein als all die anderen!

Mein Ziel im Sabbatjahr ist das mit Sicherheit nicht. Nie wollte ich derjenige sein, der auf den Warnhinweis im Autoradio genervt antwortet: „Was soll das heißen, EIN Geisterfahrer? Hier sind Hunderte!“.Und es geht ja auch nicht um mangelndes Verständnis, sondern darum bewusst etwas wirklich anderes zu tun. Etwas Drastisches, Dramatisches und Radikales. Es gibt keinen anderen Ausweg: ich werde dem ADAC beitreten.

Noch nie war ich Mitglied in diesem Verein und obendrein werde ich mein Auto abschaffen, zum ersten Mal seitdem ich vor über dreißig Jahren die Führerscheinprüfung abgelegt habe. Natürlich ist der Beitritt ein moralisch strafbarer Akt, aber wir brauchen eine Auslandskrankenversicherung und für das Sabbatjahr bin ich bereit Opfer zu bringen.

Anruf bei der ADAC Geschäftsstelle, die Dame am Telefon meldet sich freundlich, bestenfalls ein wenig gehetzt, aber das kann ich mir auch einbilden:

„ADAC Geschäftsstelle Köln, was kann ich für Sie tun?“

„Mein Name ist Ackermann und ich würde gerne ihrem Verein beitreten!“

„Wie lautet Ihre Mitgliedsnummer?“

„Ich habe leider noch keine Mitgliedsnummer!“

„Dann können sie auch nicht austreten.“

Gegen den Strom zu schwimmen kostet ganz offensichtlich Körner. Innerlich bereite ich mich schon darauf vor, mit fingiertem Batterieschaden auf dem Standstreifen der Autobahn den „gelben Engel“ zu rufen und ein vom Regen durchnässtes Formblatt zu unterschreiben. Quasi das letzte Schlupfloch um noch in diesen Verein aufgenommen zu werden.

Doch dann erkennt die ADAC-Dame gerade noch rechtzeitig, dass sie es mit einem Geisterfahrer zu tun hat und bietet mir doch eine Mitgliedschaft an. Aus Pietätsgründen verzichte ich darauf, mir aus den vielen freigewordenen Mitgliedsnummern eine besonders attraktive wählen zu dürfen. Auch verkneife ich mir alle anderen geistreichen Kommentare denn die Stimme der Vernunft ruft mich zurück in die Spur der Mehrheit.

Jetzt muss ich nur noch die Frage klären, an welche Adresse ich die berühmte Clubzeitschrift während unserer Abwesenheit schicken lasse? Wer interessiert sich noch für den ADAC? Vielleicht das Finanzamt!

Ein Zeichen

Abergläubisch?

Bin ich selbstverständlich nicht! Zumindest glaube ich fest daran, es nicht zu sein. Wann immer Aszendent, Kristallkugel, Gespenster, Erscheinungen oder Wunder auftauchen, fühle ich diese Mischung aus Unsicherheit und Überlegenheit, die an guten Tagen eine tolerant lässige, und an schlechten eine diskriminierend gehässige Reaktion erzeugt.

Nun geht es mir damit aber ebenso, wie vielen Buddhisten mit dem Verzehr von Fleisch. Obwohl sie kein Tier schlachten wollen, essen sie trotzdem gerne Fleisch und gelegentlich stürzt ja eine Kuh über eine Felskante und muss dann auch zum Besten genutzt werden. Ebenso wenig führt mein Mangel an Aberglaube dazu, dass ich darauf verzichten muss, an Vorzeichen zu glauben. Die feine Unterscheidung zwischen Glauben und Aberglauben überlasse ich dann lieber den Experten.

Jedenfalls habe ich heute ein Zeichen bekommen, welches den Plan des Sabbatjahres endgültig besiegelt und zwar in der chemischen Reinigung in Köln-Longerich. Zugegeben das ist nicht der erste Platz an dem ich nach Erscheinungen suchen würde. Nun hatte ich auch keine Erscheinung, eher genau das Gegenteil, nämlich ein Verschwinden. Ein Anzug aus meinem Reinigungsauftrag scheint nachhaltig verschwunden zu sein. Alles andere hing schön glatt auf den üblichen Bügeln, aber den einen Anzug konnte der Geschäftsführer mir – auch nach intensivster Suche – nicht aushändigen.

Ich war durchaus bereit persönlich durch die Ständerreihen zu marschieren: es gab so viel, da müsste sich doch was finden lassen, was mir passt und gefällt. Das war dem Besitzer aber auch nicht recht und das Argument „Da hän ich dat Problem ja morje ens wigger!“ war auch nicht von der Hand zu weisen.

Also gab es statt des Anzugs, „Cash in de Täsch“. Unter normalen Umständen kein gutes Geschäft für mich, denn der eigentliche Wert eines Anzugs liegt nicht im Kaufpreis, sondern im Kaufprozess. Zeit und Menschenwürde muss ich in Ankleidekabinen investieren, zumal mein Körper zwar nicht außergewöhnlich ist, sich aber immer genau zwischen den Normen der Kleidungsindustrie befindet.

Aber, in diesem Fall war es ja ein Zeichen. Das Zeichen, dass in diesem Jahr Bargeld wichtiger ist als Nadelstreifen. Sofort habe ich die alte Erkenntnis meines Großvaters vor Augen, die er in schweren Kriegszeiten in Köln gewonnen hat: „Die Rheinländer tragen sogar ihr Bett in das Pfandleihhaus, wenn sie Karneval feiern wollen“! Was er noch nicht wusste, ist, dass sie auch ihren letzten Anzug versetzen um sich ein Sabbatjahr leisten zu können. Aber verstanden hätte er es.

Rentenversicherung

„Herr Dr. Ackermann?“

Endlich wird auch mein Name aufgerufen, überraschenderweise in einem deutlich norddeutschen Dialekt, aber dennoch unmissverständlich. Ein Blick auf die Uhr bestätigt mir, dass ich höchstens zwölf Minuten warten musste, angefühlt hat es sich wie zwölf Stunden. Ich mache mir eine mentale Notiz: Falls ich noch einmal zur Forschung in der Physik zurückkehre, sollte ich mich mit der Anomalie der Zeitdehnung in deutschen Amtszimmern beschäftigten.

„Guten Morgen, ich bin Herr Ackermann“, lasse ich den wartenden Beamten, Berater der Rentenversicherung,  wissen, das Ganze mit einem der frühen Stunde völlig unangemessen Enthusiasmus.

„Voll?“ fragt er mich mit einer unnachahmlichen hanseatischen Mischung aus maximaler Direktheit und  minimalem Wortverbrauch.

„Nein, noch nicht!“ antworte ich wahrheitsgemäß wenn auch ein wenig irritiert,  immerhin befinde ich mich in einer deutschen Behörde und es ist gerade 7:45 am Morgen! Am Eingang zur Bahnhofsmission oder in einer Polizeikontrolle zu Karneval erscheint mir die Frage relevant zu sein, aber seit wann hängt die Rente vom Alkoholkonsum ab?

Das Rätsel löst sich einige Minuten später, als wir gemeinsam ein Büro erreichen, das mit seinem Schreibtisch und den zwei Stühlen, an die Verhörräume im Tatort erinnert. Nur zwei offensichtliche Unterschiede gibt es: den Computer auf dem Tisch und das Namensschild darauf: „Edmund Voll, Rentenberater“.  Spätestens hier muss ich zugeben, es steht 1:0 für Edmund und das Amt.

Ohne weiter auf seine frühe Führung einzugehen, beschließe ich mein Heil im Angriff zu suchen:

„Ich werde im Mai für ein Jahr in ein Sabbatical gehen und möchte wissen ob es Sinn macht weiter Rentenbeiträge zu bezahlen?“

Edmund Voll hebt den Kopf und am Leuchten seiner Augen kann ich erkennen, das ich einen weiteren Fehler begangen habe:

„Was bedeutet denn Sabbatical? Kann es sein das Sie von einem Sabbatjahr reden?“

OK, 2:0 bevor es eigentlich anfängt und diesmal habe ich es allein mir selbst zuzuschreiben!

Inhaltlich wird es jetzt ein Ballgeschiebe im Mittelfeld, Rentenbeitragslebensmonate neutralisieren den Erwerbsunfähigkeitsanwartschaftsstatus und erst nach langer Zeit macht auch Herr Voll einen Fehler, den ich natürlich unmittelbar zum Anschlusstreffer ausnutze:

„Wer so spät wie Sie in das Berufsleben eingestiegen ist wie Sie, der will natürlich nicht auch schon früher gehen!“ so spricht die norddeutsch kühle Beamtenlogik aus ihm.

„Das Wollen gehört allerdings zu den wenigen Dingen, die immer noch dem Einzelnen selbst überlassen sind“, kontere ich ihn gelassen aus.

„Obendrein haben Sie ja doch die eine oder andere Lücke in ihrem Berufsleben!“ Ich schaue mir die rot markierten Zeiten auf seinem Bildschirm an und stelle fest: Was ihm als Lücke erscheint, sind für mich die profitabelsten Zeiten meines Lebens, drei Monate in Afrika nach dem Diplom und die freie Zeit vor dem Studium. Ausgleich!

So trennen wir uns dann auch, mit einem Unentschieden in gegenseitiger Anerkennung, meine Freude über die Lücken wird er eben so wenig verstehen wie ich seine Rentenmathematik. Aber, Herr Voll kann mir nachhaltig versichern, dass auch ohne freiwillige Beiträge meine Rentenkasse nicht leer sein wird und wünscht mir zum Abschluss eine gute Rückkehr aus dem Sabbatjahr. Vielleicht hat er ja am Ende Recht und die Rückkehr wird das entscheidende Element dieses Jahres werden, vorstellen kann ich mir das im Moment aber ehrlich gesagt noch nicht.