„Herr Dr. Ackermann?“
Endlich wird auch mein Name aufgerufen, überraschenderweise in einem deutlich norddeutschen Dialekt, aber dennoch unmissverständlich. Ein Blick auf die Uhr bestätigt mir, dass ich höchstens zwölf Minuten warten musste, angefühlt hat es sich wie zwölf Stunden. Ich mache mir eine mentale Notiz: Falls ich noch einmal zur Forschung in der Physik zurückkehre, sollte ich mich mit der Anomalie der Zeitdehnung in deutschen Amtszimmern beschäftigten.
„Guten Morgen, ich bin Herr Ackermann“, lasse ich den wartenden Beamten, Berater der Rentenversicherung, wissen, das Ganze mit einem der frühen Stunde völlig unangemessen Enthusiasmus.
„Voll?“ fragt er mich mit einer unnachahmlichen hanseatischen Mischung aus maximaler Direktheit und minimalem Wortverbrauch.
„Nein, noch nicht!“ antworte ich wahrheitsgemäß wenn auch ein wenig irritiert, immerhin befinde ich mich in einer deutschen Behörde und es ist gerade 7:45 am Morgen! Am Eingang zur Bahnhofsmission oder in einer Polizeikontrolle zu Karneval erscheint mir die Frage relevant zu sein, aber seit wann hängt die Rente vom Alkoholkonsum ab?
Das Rätsel löst sich einige Minuten später, als wir gemeinsam ein Büro erreichen, das mit seinem Schreibtisch und den zwei Stühlen, an die Verhörräume im Tatort erinnert. Nur zwei offensichtliche Unterschiede gibt es: den Computer auf dem Tisch und das Namensschild darauf: „Edmund Voll, Rentenberater“. Spätestens hier muss ich zugeben, es steht 1:0 für Edmund und das Amt.
Ohne weiter auf seine frühe Führung einzugehen, beschließe ich mein Heil im Angriff zu suchen:
„Ich werde im Mai für ein Jahr in ein Sabbatical gehen und möchte wissen ob es Sinn macht weiter Rentenbeiträge zu bezahlen?“
Edmund Voll hebt den Kopf und am Leuchten seiner Augen kann ich erkennen, das ich einen weiteren Fehler begangen habe:
„Was bedeutet denn Sabbatical? Kann es sein das Sie von einem Sabbatjahr reden?“
OK, 2:0 bevor es eigentlich anfängt und diesmal habe ich es allein mir selbst zuzuschreiben!
Inhaltlich wird es jetzt ein Ballgeschiebe im Mittelfeld, Rentenbeitragslebensmonate neutralisieren den Erwerbsunfähigkeitsanwartschaftsstatus und erst nach langer Zeit macht auch Herr Voll einen Fehler, den ich natürlich unmittelbar zum Anschlusstreffer ausnutze:
„Wer so spät wie Sie in das Berufsleben eingestiegen ist wie Sie, der will natürlich nicht auch schon früher gehen!“ so spricht die norddeutsch kühle Beamtenlogik aus ihm.
„Das Wollen gehört allerdings zu den wenigen Dingen, die immer noch dem Einzelnen selbst überlassen sind“, kontere ich ihn gelassen aus.
„Obendrein haben Sie ja doch die eine oder andere Lücke in ihrem Berufsleben!“ Ich schaue mir die rot markierten Zeiten auf seinem Bildschirm an und stelle fest: Was ihm als Lücke erscheint, sind für mich die profitabelsten Zeiten meines Lebens, drei Monate in Afrika nach dem Diplom und die freie Zeit vor dem Studium. Ausgleich!
So trennen wir uns dann auch, mit einem Unentschieden in gegenseitiger Anerkennung, meine Freude über die Lücken wird er eben so wenig verstehen wie ich seine Rentenmathematik. Aber, Herr Voll kann mir nachhaltig versichern, dass auch ohne freiwillige Beiträge meine Rentenkasse nicht leer sein wird und wünscht mir zum Abschluss eine gute Rückkehr aus dem Sabbatjahr. Vielleicht hat er ja am Ende Recht und die Rückkehr wird das entscheidende Element dieses Jahres werden, vorstellen kann ich mir das im Moment aber ehrlich gesagt noch nicht.
Es ist so deutsch in deutschen Amtszimmern – köstlich!