Reisen in Indien: Bus oder Bahn Teil 1

Die Gretchenfrage des Indienreisendes: Wer das Land in all seiner Lautstärke erleben möchte, der muss sowohl das Flugzeug als auch das klimatisierte Auto mitsamt Fahrer verlassen und auf Bus oder Bahn umsteigen. Was denn nun? Bus oder Bahn? Die Antwort ist schnell gefunden: beides! Jedes dieser Fortbewegungsmittel ist einzigartig und bietet ungeahnte Möglichkeiten das Leben einzutauchen.

 
Fangen wir mit den Bussen an, die zwei wesentliche Vorteile ihr Eigen nennen: Sie fahren fast überall und es ist vergleichsweise einfach an einen Fahrschein zu gelangen, zumindest für denjenigen, der bereit ist, einen höheren Touristenpreis dafür zu zahlen.  Wer auf dem Normalpreis besteht, kennt am besten einen vertrauenswürdigen Inder oder besitzt die Zeit und das Geschick zu langen Verhandlungen. Wenn allerdings der letzte Bus des Tages laut hupend auf die Abfahrt drängt und aus allen seinen Öffnungen Köpfe und Gepäck ragen, dann ist die Verhandlungsposition schwierig. Also geben wir auf und bezahlen das Doppelte des Üblichen. Es ist immer noch deutlich günstiger als eine Fahrt mit der S-Bahn von Köln nach Düsseldorf und mit dem Fahrscheinautomaten in Deutschland feilsche ich auch nicht um einen Euro.

 
Dem Kauf der Fahrkarte folgt das Einsteigen in den Bus und schlagartig wird mir klar, warum die Inder das Yoga erfinden mussten, sie wollten einfach auf ihren Platz im Bus! Wer nicht stabil auf einem Bein stehen kann, während er kräftig an der Schulter gezogen wird und dabei mindestens ein Bein über den Kopf hinaus zu strecken, wird keinen Sitzplatz ergattern. Wir stehen allerdings noch vor einem zusätzlichen Problem: Im Bus sind keine Plätze frei. Der Schaffner weist uns – wohl ob des von uns bezahlten höheren Preises – zwei Liegeplätze direkt hinter dem Busfahrer zu. Sie befinden sich ungefähr da, wo normalerweise das Gepäcknetz angebracht ist. Die beiden Inder die dort lagen, weichen auf die erste Sitzreihe aus, was wiederum die dort sitzende Familie auf die zweite Reihe verdrängt. Nach irgendeiner unverständlichen Regel verläuft diese Reise nach Jerusalem durch den Bus, mit dem unerklärlichen Ergebnis, das am Ende wieder alle einen Platz besitzen.

 
Währenddessen sind wir bereits losgefahren und bewegen uns auf einer einspurigen Straße Richtung Süden durch die Wüste, außer einem gelegentlichen Kamel ist nur Sand in Sicht. Die Straße ist allerdings durchaus befahren. Sobald ein entgegenkommendes Fahrzeug sichtbar ist, beginnt für unseren Busfahrer der interessante Teil der Arbeit. Zunächst gilt es, auf sich und seinen Bus aufmerksam zu machen. Er legt eine Hand auf die Mitte des Lenkrades und drückt auf die Hupe. Die andere Hand wandert zum Lichthebel neben dem Lenkrad und reißt diesen so schnell er kann vor und zurück.  Die hektische Lichthupe zusammen mit dem Dauerhorn zwingt das entgegenkommende Fahrzeug an den äußersten linken Rand der Asphaltpiste. Da der andere Fahrer genau den gleichen Zauber veranstaltet, bewegen wir uns auch zur linken Fahrbahnkante. Allerdings wird die Fahrbahn dadurch auch nicht geräumiger, so dass die beiden Piloten sich weiterhin auf Kollisionskurs bewegen.

 
Aber es muss einen Plan geben, um den frontalen Crash zu verhindern, denn der Schaffner klappt noch geschwind den Außenspiegel ein. Genau in dem Moment in dem der Zusammenstoß unvermeidlich ist, lassen beide Fahrer die Hupen los, greifen entschlossen wieder das Lenkrad und verlassen in einem kleinen Bogen nach links die Fahrbahn. Der Bus beginnt umzufallen, aufgrund der hohen Geschwindigkeit bleibt ihm dafür aber nicht genügend Zeit. Bevor er sich entschließen kann, finden wir uns auf der Fahrbahn wieder und setzen die Fahrt fort als sei nichts geschehen. So wird einer nach dem anderen der Gegenverkehr umfahren, unter Einsatz aller Steuerungsmittel die dem Fahrer zur Verfügung stehen, mit Ausnahme der Bremse.

 
Nach einigen Stunden habe ich mich an das Schauspiel gewöhnt, zumal mich allmählich ein anderes Problem plagt. Wer in der Wüste leben will, muss viel trinken, an diese Regel habe ich mich gehalten, sehr zu meinem Leidwesen. Gibt es Yogaübungen um die Blase zu erweitern? Irgendeinen Trick müssen die Inder jedenfalls besitzen, denn wir fahren schon seit vier Stunden ungebremst durch die Landschaft. Der Leidensdrang wird zu groß und ich beginne, mich aus dem überdimensionalen Gepäcknetz zu schälen und nach unten zu klettern. Entweder erkennt der Fahrer meine Not im Rückspiegel, oder es ist Zufall: kaum habe ich den Boden berührt bringt er zum ersten Mal die Bremse zum Einsatz und hält an. Ich bin doppelt erleichtert: Weil ich nicht in den Bus pinkeln muss und weil ich jetzt weiß, dass die Bremse funktioniert.

 
Nun springen alle auf und jeder drängelt – mehr oder weniger yogisch – zum Ausgang Mir wird bewusst, dass hier in Indien Drängeln und Rücksicht keineswegs einen Widerspruch darstellen. Gleichzeitig bin ich beruhigt, auch Inder besitzen eine endlich große Blase. Mein vorzeitiges Aufstehen verschafft mir einen veritablen Vorsprung und ich bin als einer der ersten vor dem Bus. Draußen trifft mich die Hitze und… sonst nichts. Weit und breit ist nur Wüste, wer dem Ruf der Natur folgen will muss dafür in die Natur gehen. Es gibt nur eine Regel, Frauen links und Männer rechts. Da wo ich stand werden jedenfalls in den nächsten zweieinhalb Jahren keine wüstentypischen Verhältnisse mehr herrschen.

 

Fünf Stunden später ist die Fahrt beendet als auf wundersame Weise der Bus und unser Gastgeber am Zielort zusammentreffen. Freudig verlassen wir den Bus, froh über das Erlebnis einer Busfahrt in Indien und froh, dass sie glücklich vorüber ist.

Yogastrand

Wenn auf dieser Welt ein existiert der sich ganz dem Yoga verschrieben hat, dann ist es der von Arambol. Nicht umsonst liegt er am Ende des Hippie Trails, viele der reisenden Hippies hielten ihn schlicht für den Himmel auf Erden und sind bis heute dortgeblieben.

Wo sonst verschreibt der örtliche Arzt bevorzugt Yogapositionen und Pranayamas? Wo verkauft der Tante-Emma Laden Yogamatten anstatt Strandmatten? Wo sonst gibt es Zimmer ohne Dusche, ohne Bad, manchmal sogar ohne Wände, aber niemals ohne Yogaklasse? Arambol ist fest in yogischer Hand. Die Schönheitssalons nennen ihre Massage „empfangendes Yoga“ und der Büchertausch im Strandrestaurant bietet zwischen Sanskritschülern und Tantrikern genügend Erleuchtung um das gesamte dunkle Mittelalter und gleich auch noch den Frankfurter Flughafen zu erhellen.

Ein Morgen am Strand zeigt die yogische Tradition am klarsten: Auf wenigen hundert Metern Sand tummeln sich alle Yogastile von denen jemals berichtet wurde. Hatha, Anusara, Vinyasa, Kundalini, und hundert weitere fließen, halten oder schweben der aufgehenden Sonne entgegen. Ein Flashmop der Sonnengrüße. Die so gegrüßte ist offensichtlich an den vielfachen Gruß bereits gewöhnt, und geht auf wie immer. Tai-Chi Tänzer schneiden die Morgenluft in kleine Scheiben auf denen dann die Acroyogis fliegen können. Selbst die Strandhunde beherrschen mehr Yogapositionen als ich Tiernamen. Zwischen dem bunten Treiben schreiten selbsternannte und fremdbestimmte Gurus durch ihre Gehmeditation, sorgsam darauf bedacht nicht über den eigenen Bart zu stolpern.

Nur eine Gruppe fehlt, die Gemeinde der Bikramyogis. Erst die Mittagshitze wird sie zum Vorschein bringen. Auch Inder sind kaum zu sehen, die müssen wahrscheinlich arbeiten. Einer allerdings hat seinen Arbeitsplatz genau hier am Strand, der Rettungsschwimmer gleitet in einem knallroten Geländewagen den Strand entlang, immer auf der Suche nach Schwimmern in Not und nach Yogis in verbesserungsfähigen Positionen. Richtig gelesen, an diesem Strand ist der Lebensretter auch Yogalehrer. Kaum entdeckt er eine hilfsbedürftige Person, so springt er auch schon aus seinem Gefährt. Eine Hand auf die linke Pobacke des Yogalehrlings, die andere auf das rechte Knie und schon wird aus dem Asana der Krüppelkiefer ein aufrechter Baum.

Genau in diesem Moment allerdings braut sich echte Gefahr zusammen. Ein drahtiger Yogi steht bereits seit mehreren Minuten in einem wunderschön gestreckten Hund. Direkt an der Wasserkante schwebt sein Kopf nur wenige Zentimeter über dem Boden. Was er nicht sehen kann ist die große Welle, die direkt auf ihn zurollt und ihn in wenigen Sekunden wegspülen wird. Jetzt wäre ein guter Zeitpunkt für den Rettungsyogi seiner eigentlichen Aufgabe nachzugehen, so denke ich. Der hingegen sieht offensichtlich keinen Anlass seinen gerade ausgerichteten lebendigen Baum loszulassen, sondern schaut nur entspannt in Richtung Welle.

Manche Yogis benötigen angeblich nur Luft und Liebe zum Leben, aber soweit ich weiß müssen auch die Erleuchteten zumindest noch atmen. Also mache ich mich auf dem Weg um dem gefährdeten Yogi das Leben zu retten, aber im Gegensatz zum Rettungsschwimmer bin ich zu weit weg und kann dann auch nur zuschauen wie das Schicksal seinen Lauf nimmt. Sekundenbruchteile bevor die Welle zuschlägt, gleitet der Yogi vom Hund in eine ausgewachsene Kobra, die ihren Kopf über den Fluten hält und sich von der Gewalt des Wassers in einen Lotussitz spülen lässt. Zufrieden sitzt er auf dem Strand, die Beine in einem gordischen Knoten mit seinem Schoß verwickelt. Ich weiß nicht welche anderen Nebenwirkungen das Yoga besitzt, aber wenn jemand behauptet, es würde auch gegen den Tod durch Ertrinken helfen, dann werde ich in Zukunft nicht widersprechen.

Männer und Yoga

„Wenn du hergekommen bist um das große weiße Licht zu sehen, dann bist du hier definitiv am falschen Ort“. Diese Aussage zumindest beruhigt mich in der ersten Yogastunde meines Lebens. Insbesondere, da sie auch noch von einem kalifornischen Yogalehrer kommt, dem Land in dem mehr als die Hälfte der Bevölkerung glaubt, Yoga sei in Kalifornien erfunden worden. Ansonsten ist Yoga für Männer ja nicht unbedingt ein niedrigschwelliges Angebot, der gleiche Lehrer erklärt mir am Ende der Stunde – ich bin so fertig, dass mir keine Flucht gelingen will – es gäbe überhaupt nur drei Gründe weshalb Männer zum Yoga kommen: Erstens, sie hatten eine schwerwiegende Verletzung, zweitens, eine Frau hat sie mit angeschleppt oder drittens, sie suchen eine Frau.

Für mich trifft der zweite Grund zu, auch wenn das an dieser Stelle jeder sagen würde, und im Grunde ist die Frage einfach falsch gestellt: das Männer nur in Notlagen zum Yoga streben, mag zwar in der Praxis richtig sein, es liegt aber nicht an mangelnder Kompatibilität. Nein, Yoga ist eng verbunden mit den wichtigen männlichen Kernkompetenzen, wie zum Beispiel – wo wir gerade von wichtigen Dingen reden – Fußball. Ebenso wie eine gute Yogastunde dauert ein Fußballspiel neunzig Minuten, und in beiden Fällen kannst du, wenn es gut läuft, die letzten Minuten glücklich und entspannt verbringen. In manchen Aspekten ist das Yoga sogar dem Fußball geradezu überlegen. Eine Yogalehrerin, in jeglicher Hinsicht eine waschechte Schweizerin, emotional extrovertiert wie die Schweizer nun mal sind, forderte uns auf am Ende der Bewegung einen lauten Schrei auszustoßen: „mindestens dreimal, aber wenn es pressiert dann auch viermal“. Wann konnte denn ein Fan des 1.FC Köln das letzte Mal in einem Spiel viermal jubeln? Ganz offensichtlich gibt es keinen Konflikt zwischen Männern und Yoga.

Bei unseren britischen Nachbarn hat sich diese Erkenntnis wohl schon länger durchgesetzt. Kaum hatte ich mich im Pub eines Londoner Vorortes als Yogi geoutet, wurde ich auch schon aufgefordert demnächst Dienstagsabend zu kommen, zum Yoga im Pub. Geschickt wurde hier die Hemmschwelle reduziert, keine Ausreden mehr, keiner muss seiner Frau oder Freundin erklären warum er jetzt zum Yoga geht, du gehst einfach wie jeden Abend in die Kneipe und fertig. Vielleicht mag jetzt der ein oder andere Wächter der Yogamoral aufschreien, die Lokalität als ungeeignet kritisieren. Jeder echte Yogi jedoch weiß, dass Yoga vielleicht den Weg zu Ausgeglichenheit, Achtsamkeit und Einklang führen kann, mit absoluter Sicherheit aber auch Durst macht. Daher scheint mir der Pub als Location, wenn nicht über alle Zweifel erhaben, so doch zweckmäßig zu sein.

Und das Allerbeste am Yoga ist die Toleranz die entsteht sobald es praktiziert wird. Sollte sich dann doch einmal eine Frau in das Kneipenyoga verirren, und, wider Erwarten, weder eine Verletzung haben, noch auf der Suche nach einem Typen sein, ja selbst wenn sie noch nicht einmal nach dem Yoga einen Pint Lager mittrinken würde, sie dürfte trotzdem vorbehaltslos mitmachen.