Kulturexport

Mein Schreiben soll nicht die Welt verändern! Zumeist ist das eigene Vergnügen daran genügender Antrieb. Heute jedoch kann ich nicht anders, als einen Aufruf zu starten, der hoffentlich weltweite Wirkung zeitigt, trotzdem es – wie immer – um eine kleine Geschichte von kleinen Dingen geht.

Welche kulturelle Leistung der Deutschen wird im Ausland sträflich vernachlässigt? Nein, ich rede nicht vom Oktoberfest, das wird in nahezu jedem Land der Erde häufiger gefeiert als in München. Auch die großen Dichter und Denker sind außerhalb unserer Heimat oft präsenter. Viele Deutsche müssen sich auf dem Theaterplatz in Weimar von einem japanischen Touristen erklären lassen, dass es sich bei den beiden Männern des Denkmals nicht um die Gebrüder Grimm handelt. Auch deutsche Ingenieurskunst ist weltweit bekannt und selbst dunkles Körnerbrot duftet im Siegeszug rund um den Globus. Allein einer Errungenschaft unserer Kultur bleibt die globale Anerkennung bisher verwehrt: dem Eierbecher.

Mancher mag seine besondere Bedeutung noch gar nicht erkannt haben, aber wir wissen Wichtiges ja erst dann zu schätzen, wenn es nicht mehr vorhanden ist: Licht, Freunde, Toilettenpapier. So ergeht es auch dem Eierbecher. Wer ihn nie vermisst hat, der ist noch nicht verreist. In Österreich ist er zuweilen noch zu finden, aber spätestens, wenn in der Schweiz die deutsche Sprache verschwindet, verabschiedet sich auch der Becher; gruß- und ersatzlos. Und auf jeder Reise, in jedem Land falle ich wieder darauf herein. Die Frühstückseier wandern in das kochende Wasser und genau fünf Minuten später bricht Panik aus.

Die Ferienwohnung oder Hostelküche ist mit jeden nur erdenklichen Komfort versehen, allein es fehlen die Eierbecher. Startschuss für die hektische Suche nach einem Ersatz. In Spanien finde ich dann meist ein etwas zu klein geratenes Weinglas und in Italien muss eine Espressotasse herhalten. Die Rettung in Frankreich erschien mir schon in Gestalt eines Schneckentellers, zum Glück sind dort ja auch Wachteleier weit verbreitet. Da in den USA bekanntlich alles größer ist, greife ich zur Muffinform.

Ansonsten ist guter Rat teuer, oft bleibt nur der Griff zur bereits erwähnten deutschen Ingenieurskunst. Aus Hotelservietten lässt sich mit etwas Geschick ein recht stabiles Papierschiffchen falten. Und das Ganze, während ich das abgeschreckte Ei auf einem Löffel balanziere. Eine wacklige Geschichte und ein mehr als dürftiger Ersatz. Obendrein wird die Freude am weichen Ei mit ziemlicher Sicherheit von reichlich Kleckerei begleitet werden.

Warum das Verbreitungsgebiet der Becher so begrenzt ist, habe ich nie verstanden. Aber zum Glück existieren inzwischen die sozialen Netzwerke und präsentieren uns die offensichtliche Lösung. Kein Vermieter und kein Hotelier auf dieser Welt, der ohne hervorragende Bewertungen auf diesen Netzwerken noch mit Gästen rechnen kann.

Wenn wir gemeinsam arbeiten und jeden fehlenden Becher konsequent mit Punktabzug bei booking.com und Tripadvisor abstrafen, dann wird sich die Welt unseren Wünschen nicht lange entziehen können. Zunächst werden Quartiere ohne Eierbecher aus dem Internet verschwinden und wenig später aus unserem Leben, denn dem Hotelier ohne Eierbecher stehen nur zwei Wege offen. Der Weg in die Insolvenz oder der in die Haushaltswarenabteilung. Falls es aber auch dort keine Becher zu kaufen gibt? Dafür wurde der Versandhandel erfunden und die Internetseite http://www.eierbecher.de ist noch verfügbar.

Reisehunger Teil 2

Neuseeland 1997

Vor lauter Bäumen gibt es hier keinen Zeltplatz, stundenlang schon steht Baum an Baum, so dicht, dass selbst unser winziges Zelt keinen Raum dazwischen findet. Endlich öffnet sich der Wald zu einer Lichtung, auf der sogar eine Ansammlung von Häusern steht, in der Mitte eine Kirche und – in unserer Lage noch wichtiger – ein Wirtshaus.

Überhaupt kein Problem sei es, hinter der Kirche unser Zelt aufzuschlagen wird uns im Wirtshaus beschieden und auch eine Kleinigkeit zum Essen wird in Aussicht gestellt. Leider keine Auswahl da heute die Weihnachtsfeier des Dorfes ausgerichtet wird, aber wir sind ja froh überhaupt noch etwas zu bekommen und keineswegs wählerisch.

Wie immer wird zuerst das Zelt errichtet. Danach erwarten uns im Wirtshaus nicht nur sämtliche Einwohner des Ortes, sondern auch zwei frisch bereitete Hamburger, wenn auch der Name nur sehr bedingt zutreffend ist. Ein deutscher Statiker hätte diese Gebilde bestenfalls für Gäste genehmigt, die einen Schutzhelm tragen, so hoch stapeln sich die Lagen zwischen den beiden Brothälften. Nachdem ich drei Spiegeleier identifiziert habe, höre ich auf zu zählen und beginne genüsslich zu essen.

Die insgesamt dreiundsechzig Einwohner unterhalten sich prächtig, jedoch erhalten auch wir regelmäßigen Besuch. Jan, der Busfahrer; Simon, der Farmer auf dessen Wiese wir zelten und Joanne, die Kindergärtnerin eröffnen den Reigen. Sie alle erzählen viel und gerne. Wir sind froh, dass unser Beitrag zur Konversation bereits ausreichend ist, wenn er nur aus einem grunzenden Kopfnicken zwischen dem Kampf mit dem Hamburgerturm und dem Schluck aus dem Bierglas besteht.

Kurz bevor es alle Dorfbewohner geschafft haben sich bei uns vorzustellen, wird es schlagartig still im Lokal, der Bürgermeister hebt an zu seiner Weihnachtsansprache. Wortgewandt lässt er Ernte, Schuljahr und alle anderen wichtigen Ereignisse des Jahres Revue passieren und bevor auch nur der Ansatz von Langeweile aufkommt beschließt er seinen Auftritt mit den Worten: „Ich wünsche Euch allen ein gesegnetes Weihnachtsfest, auch unseren beiden Besuchern, aus welchen Erdteil auch immer sie stammen mögen, in dem man einen Hamburger mit Messer und Gabel isst“.

Reisehunger

Reisen macht hungrig, natürlich zunächst auf noch mehr Reisen, aber auch im wörtlichen Sinn. Absolut unmöglich ist es zu reisen ohne zu Essen und viele Orte dieser Welt haben sich durch die Besonderheit – und dieses Wort ist mir Bedacht gewählt – ihrer Speisen in meinem Reisegehirn verewigt. So sehr ich auch darüber nachdenke, will mir doch keinerlei Ort auf dieser Erde einfallen, den ich alleine aufgrund seiner Essensangebote vermeiden möchte. Dagegen gibt es viele Plätze, die schon durch ihr Essensangebot eine Reise wert sind.

Natürlich ist das Essen unterwegs nicht immer gut, aber häufig eben trotzdem herausragend, weil es Brücken schafft zum Leben vor Ort und landestypisches zum Vorschein bringt. Nur in Belgien kann es gebratene Muscheln als Gruß aus der Küche und zu Spaghetti an Kabeljausauce eine Portion Fritten mit Majo geben. Essen kann strengen Traditionen unterworfen oder ein Symbol für Zeitenwandel sein, oder aber beides zugleich; in England ist „Fish & Chips“ derweil von „Tikka Masala“ als Nationalgericht abgelöst. Mal soll alles aufgegessen werden, dann wieder gilt es genau die richtige Menge nicht zu essen. Auch die beste Strategie, zum Beispiel „Ex und Hopp“ für den ranzigen Buttertee im Himalaya, funktioniert nur dann, wenn der Becher nicht sofort nachgefüllt wird.

Mitunter bleibt der Reisende hungrig und wenn er denn satt wird, ist keineswegs sicher, dass er weiß wovon, Pferd in Köln kann genauso strittig sein, wie Hund in Korea. Aber eines ist gewiss, Essen auf Reisen ist eine große Gelegenheit heranzukommen an die Menschen deren Land man gerade erleben darf und eine große Chance, einfach überrascht zu werden. Natürlich aus meiner Sicht, einer deutschen, betrachtet, denn eine andere habe ich nicht. Wie es anders herum gehen kann versteht jeder, der einmal gesehen hat, wie ein kleingewachsener Japaner hinter einer Schweinshaxe im Brauhaus verschwindet oder ein Russe sich in der guten deutschen Weinstube vier Stücke Zucker in sein Glas Bioriesling rührt.

Fortsetzung folgt….

Von der Insel 1

Sprichwörtlich ist sie, die Höflichkeit der britischen Inselbewohner und überall im Königreich wird sie gelebt. Auf dem Kricketplatz im ländlichen Essex wird den Kindern zunächst einmal das richtige Händeschütteln mit dem Gegner beigebracht: beide Füße auf eine Höhe stellen, aufrechte Haltung, dem Gegenüber in die Augen schauen, fester Händedruck und während des Loslassens die kleinste Andeutung einer  Verbeugung; nur ein Hauch mehr als Kopfnicken, aber dieser Hauch ist entscheidend. Nach einer Stunde ist das Training beendet, ohne dass Ball oder Schläger zum Einsatz kommen, das ist aber wohl nicht tragisch, denn wesentlich mehr an sportlicher Bewegung, ist im Kricket ja auch beim Spielen nicht erforderlich.

Im gleichen Alter habe ich in der Fußball F-Jugend der Spielgemeinschaft Aumenau/Seelbach schon die Blutgrätsche auf dem Ascheplatz geübt. Ganz abgesehen davon, dass wir Kinder noch  nicht verstanden hatten, dass der SV Seelbach, in der letzten Saison noch der Erzfeind unseres TUS Aumenau, jetzt Teil einer Spielgemeinschaft mit uns sein sollte, war alles Mögliche Teil unseres Trainings, nur nicht Höflichkeit. Im Kontrast zwischen Blutgrätsche und Händeschütteln muss sie irgendwo entstehen, die britische Höflichkeit.

Offensichtlich wird sie in den Schildern, welche das öffentliche Leben regeln. „To enjoy full benefits, please take a shower before using the pool“; so belehrt mich ein Schild im Hotelschwimmbad. Welche Vorteile aus der Dusche vor dem Bad entstehen bleibt offen, aber die Formulierung ist wohltuend und motivierend, insbesondere für alle die noch die klassische Version des deutschen Bademeisters kennen – der seine Badehose wie eine Gardeuniform trägt und dessen zackiger Ruf „Duschen! Aber flott“ mir noch heute im Kopf klingt, sobald Chlorgeruch meine Nase trifft.

Die höfliche Formulierung ist aber keineswegs auf elitäre Wellnessbereiche beschränkt, sondern findet sich auch im profanen Alltag wieder. „Caution: Female cleaners may be in attendance“, warnt mich ein Schild vor der Herrentoilette. Wenn in Deutschland ein Schrubberstiel diagonal in die Klotür geklemmt ist, dann ist das schon die höfliche Variante. Eine von innen abgeschlossene Toilettentür, an der ich mir überrascht die Nase plattdrücke oder die Begegnung mit einer feudelschwingenden Reinigungsverantwortlichen, die bestimmt verkündet: „Et es zo“, sind die wesentlich wahrscheinlicheren Fälle.

Das einfältige deutsche Gemüt könnte an dieser Stelle natürlich auf den Gedanken kommen, die freundliche britische Variante sei weniger verbindlich, als die direkte Ansage in deutschen Landen, dem kann ich allerdings nur Vorsicht anraten. Auf die höfliche Frage „Would you mind to take of your shoes“ des britischen  Grenzbeamten wahrheitsgemäß zu antworten: “Lieber nicht!”, kann schnell zu einer deutlichen Eskalation führen. Aber auch dann wird der Engländer den unvermeidlichen Tatbestand der Verhaftung freundlich und positiv beschreiben:“He’s been taken at her Majesty‘s pleasure“.