Mit Deutschen reden

Die Jüdin in Amerika
„Mit Deutschen reden fällt mir immer schwer …“. Kaum hat meine Tischnachbarin diesen Satz ausgesprochen, bleibt meine Gabel unschlüssig in der Luft hängen und all meine Warnlichter leuchten auf. Sie ist Jüdin und ich ein Deutscher aus der Generation, die niemals unbefangen mit Juden umgehen wird. Unberührt fährt sie fort: „…weil die immer so entschuldigend auftreten“. Treffer und versenkt! Auch wenn ich so lange nach 1945 geboren bin, dass mir keine Beteiligung – und sei es auch nur eine stille – an den Naziverbrechen vorzuwerfen ist, so wird mich doch die historische Schuld nie verlassen. Nicht als eine persönliche, unüberwindliche, aber als ein Teil meines Landes, meiner Heimat. Wenn mich denn mehr mit Deutschland verbindet als nur der Reisepass, dann gehören eben auch die dunklen Seiten dazu.
Das versuche ich ihr, möglichst ohne Entschuldigung, zu erklären. Sie lacht und erklärt mir freundlich: „Genau das meine ich und obendrein seht ihr Deutschen immer die Probleme, dabei lebt ihr in einem wunderschönen Land!“ Gut beobachtet, denke ich. Vielleicht ist es die wichtigste Erkenntnis des Reisens: Der neue Blick auf das Bekannte und die Heimat; nicht zuletzt durch die Augen und Worte der Fremden.

 
Der Tansanier in Deutschland
„Ja, ich war auch schon einmal in Deutschland, alles war wunderbar“, so erklärt mir der junge Afrikaner nach dem Konzert. Auf Konzertreise mit seinem Chor ist er durch Deutschland getourt und alles, was ich ihm entlocken kann, sind Loblieder auf dieses Land. Das Wetter, das Essen, die Menschen, die Züge mit Klimaanlage, die Zentralheizungen in den Zimmern, das Wasser aus der Leitung. Nur Gutes hat er in Deutschland gesehen und das fließt in Strömen, fährt pünktlich und ist immer sauber.
Ich lasse nicht locker und meine deutsche Krämerseele nicht los, es muss doch auch irgendetwas geben das ihn gestört hat? Aber sei es wahr oder der afrikanischen Freundlichkeit geschuldet, er kann sich beim besten Willen an nichts Negatives erinnern. Ich versuche es von der anderen Seite, wenn schon nichts Störendes, dann muss er doch zumindest etwas Überraschendes erlebt haben? Er überlegt eine ganze Weile bevor er mich mit strahlendem Lachen aus seinem dunklen Gesicht anschaut: Doch, zwei Dinge haben ihn wirklich gewundert: Das fast alle Menschen weiße Haut besitzen und die Taxis alle einen Mercedesstern.

 
Der Chinese in Neuseeland
Im Billigflieger nach Hongkong sitze ich auf einem Mittelplatz. Die Asiaten haben die Billigairlines erfunden und zur Perfektion geführt. Der Mittelplatz ist so eng, dass er nur zwei Optionen bietet: sich still mit dem Sitznachbarn um den nicht vorhandenen Platz streiten oder laut für die Dauer der Reise zu befreunden. Wenn ich meinem Nachbarn schon näher auf Pelle rücken muss als meinen besten Freunden, entscheide ich mich für die zweite Variante. Mein Sitznachbar, ein Festlandchinese auf dem Heimweg von seinem Studienjahr in Neuseeland, findet auf meine Fragen allerdings nur lapidare Antworten. Pädagogik hat er dort studiert, anders sei das als in China. Von Neuseeland hat er wenig gesehen, keine Zeit. Auch zuhause würde sich niemand auf ihn freuen, bestenfalls auf die Geschenke die sich in seinem Rucksack befinden. Selbst meine Jokerfrage, ob er sich denn auf das chinesische Essen bei seinen Eltern freue, entlockt ihm nur einen emotionslosen Halbsatz: Der Reis in Neuseeland stamme ebenso aus China, wie das chinesische Milchpulver aus Neuseeland.  Sollte ein Pädagoge nicht für irgendetwas Begeisterung aufbringen können?
Zu meiner Verwunderung findet er etwas, als er hört dass ich in Deutschland lebe. „Das muss ja wirklich ein außergewöhnlich schönes Land sein!“, sagt er und richtet sich in seinem Sitz auf, was unweigerlich dazu führt, dass er seinen Ellenbogen in meine Rippen rammt. Sobald ich wieder atmen kann, versichere ich ihm, dass Deutschland schön ist und will wissen worauf denn seine Erkenntnis beruht. Seine Antwort verwundert mich: „In Neuseeland leben ja Menschen aus allen Ländern dieser Erde.“ Wie recht er hat, so viele dass ich mir schon die Frage gestellt habe, ob denn in Deutschland noch ein Abiturient übrig ist. „Alle müssen irgendwann zurück“, so fährt er fort, „aber nur die Deutschen freuen sich darauf wieder nach Hause zu fliegen. Also muss Deutschland das schönste Land sein“. Der Flieger landet und ich darf das Kompliment an mein Land genießen ohne darauf antworten zu müssen. Direkt hinter dem Ausgang des Flugzeugs trennen sich unsere Wege, ich darf ohne Visum nach Hongkong einreisen, er wird direkt zum chinesischen Festland geleitet.

 
Der Chilene in Australien
So leicht wie der Chinese macht es mir der Südamerikaner nicht, den ich in der australischen Wüste treffe. Er fragt mich aus: Wie sieht es aus Dein Land? Was gibt es dort zu sehen? Lohnt es sich dorthin zu reisen? Ich weiß nicht wo ich anfangen soll, erzähle von den Städten, der langen Geschichte, den Alpen, dem Meer und treffe nur auf höfliche Langeweile. Auch Wälder und Burgen oder Dichter und Denker erzeugen keine Begeisterung in seinen Augen. Ich probiere es mit Rhein und Mosel und erwähne eher beiläufig die steilen Weinberge und das daraus resultierende Getränk. „Wein!“, so ernte ich endlich eine Reaktion, und die ist so intensiv wie die meine auf den Satz der Jüdin. „Vom deutschen Wein habe ich bereits gehört, der soll etwas ganz Besonderes sein,… ich glaube den nennt ihr Glühwein“

Halbzeit

Immer wieder wird behauptet, es gäbe ihn gar nicht, DEN Deutschen, DEN Amerikaner oder gar DEN Holländer. Der Standpunkt mag ja politisch außerordentlich korrekt sein, aber dennoch ist er vollkommen falsch. Natürlich gibt es ihn, diesen typischen Vertreter einer jeden Nation. Sicher, seitdem Schuhe von Birkenstock in allen Länder dieser Erde verkauft werden, ist es nicht mehr ganz so einfach den Deutschen im Ausland zu erkennen. Aber auch wenn die Zeichen heute etwas subtiler geworden sind, eindeutig sind sie immer noch. Nach wie vor gilt: wer außerhalb seiner eigenen Wohnung Sandalen mit Socken trägt, der spricht auch Deutsch.
Viel spannender ist es allerdings die Nationalität eines Menschen zu bestimmen, wenn solche offensichtlichen Merkmale fehlen und einzig das Verhalten der Menschen eine Unterscheidung möglich macht. Doch wer sich ein wenig Mühe gibt, muss auch daran nicht scheitern. Zur Halbzeit unserer Reise lässt sich das leicht an den Ländern festmachen, die wir bisher besucht haben. So sind DIE Australier allesamt entspannt, freundlich und hilfsbereit; dagegen habe ich DIE Bewohner von Fiji als freundlich, hilfsbereit und entspannt erlebt. In Kanada trafen wir auf stets hilfsbereite Menschen-dabei entspannt und freundlich – und die Freundlichkeit DER US-Amerikaner ist ja bereits sprichwörtlich; entspannt und hilfsbereit waren sie obendrein.
Irgendwie lässt mich das Gefühl nicht los, dass meine Typisierung von Nationen auf unseren nächsten Reisestationen zu ähnlichen Ergebnissen führen wird. Auch die Neuseeländer, Inder und Nepali werden sich durch die gleichen Attribute auszeichnen. Meine Klassifizierung ist also ebenso einfach wie nutzlos. Doch woran scheitert es nun, mein bewährtes Modell?
Vielleicht findet sich die Ursache in der Geschichte, immerhin waren alle diese Länder – in der einen oder anderen Form – einmal Teil des britischen Königshauses. Aber so gerne ich auch anglophil denken möchte: es ergibt keinen Sinn. Würde Tee mit Milch oder Gurkenbrote mit abgeschnittener Rinde solche Eigenschaften hervorbringen, dann müsste sich bereits die ganze Welt davon ernähren.
Was sonst aber ist all diesen Nationen gemeinsam? Die einzige Übereinstimmung die bleibt, bin ich selbst, der Betrachter. Natürlich wird meine Anwesenheit kaum etwas bewirken, was selbst dem britischen Empire nicht gelungen ist. Aber vielleicht ist es ja wahr, das Sprichwort vom Wald aus dem das herauskommt, was man hineinruft. Auch wenn es im wörtlichen Sinn nicht stimmt – ich habe in etliche Urwälder geschrien und dabei höchstens Rehe aufgeweckt – dann doch im übertragenen.
Nach meiner Rückkehr werde ich es ausprobieren, dann müssten auch DIE Deutschen alle hilfsbereit und freundlich sein, zumindest solange ich selbst es schaffe entspannt zu bleiben. Bis dahin werde ich sie an den Sandalen mit Socken erkennen.