Reisen in Indien: Bus oder Bahn Teil 1

Die Gretchenfrage des Indienreisendes: Wer das Land in all seiner Lautstärke erleben möchte, der muss sowohl das Flugzeug als auch das klimatisierte Auto mitsamt Fahrer verlassen und auf Bus oder Bahn umsteigen. Was denn nun? Bus oder Bahn? Die Antwort ist schnell gefunden: beides! Jedes dieser Fortbewegungsmittel ist einzigartig und bietet ungeahnte Möglichkeiten das Leben einzutauchen.

 
Fangen wir mit den Bussen an, die zwei wesentliche Vorteile ihr Eigen nennen: Sie fahren fast überall und es ist vergleichsweise einfach an einen Fahrschein zu gelangen, zumindest für denjenigen, der bereit ist, einen höheren Touristenpreis dafür zu zahlen.  Wer auf dem Normalpreis besteht, kennt am besten einen vertrauenswürdigen Inder oder besitzt die Zeit und das Geschick zu langen Verhandlungen. Wenn allerdings der letzte Bus des Tages laut hupend auf die Abfahrt drängt und aus allen seinen Öffnungen Köpfe und Gepäck ragen, dann ist die Verhandlungsposition schwierig. Also geben wir auf und bezahlen das Doppelte des Üblichen. Es ist immer noch deutlich günstiger als eine Fahrt mit der S-Bahn von Köln nach Düsseldorf und mit dem Fahrscheinautomaten in Deutschland feilsche ich auch nicht um einen Euro.

 
Dem Kauf der Fahrkarte folgt das Einsteigen in den Bus und schlagartig wird mir klar, warum die Inder das Yoga erfinden mussten, sie wollten einfach auf ihren Platz im Bus! Wer nicht stabil auf einem Bein stehen kann, während er kräftig an der Schulter gezogen wird und dabei mindestens ein Bein über den Kopf hinaus zu strecken, wird keinen Sitzplatz ergattern. Wir stehen allerdings noch vor einem zusätzlichen Problem: Im Bus sind keine Plätze frei. Der Schaffner weist uns – wohl ob des von uns bezahlten höheren Preises – zwei Liegeplätze direkt hinter dem Busfahrer zu. Sie befinden sich ungefähr da, wo normalerweise das Gepäcknetz angebracht ist. Die beiden Inder die dort lagen, weichen auf die erste Sitzreihe aus, was wiederum die dort sitzende Familie auf die zweite Reihe verdrängt. Nach irgendeiner unverständlichen Regel verläuft diese Reise nach Jerusalem durch den Bus, mit dem unerklärlichen Ergebnis, das am Ende wieder alle einen Platz besitzen.

 
Währenddessen sind wir bereits losgefahren und bewegen uns auf einer einspurigen Straße Richtung Süden durch die Wüste, außer einem gelegentlichen Kamel ist nur Sand in Sicht. Die Straße ist allerdings durchaus befahren. Sobald ein entgegenkommendes Fahrzeug sichtbar ist, beginnt für unseren Busfahrer der interessante Teil der Arbeit. Zunächst gilt es, auf sich und seinen Bus aufmerksam zu machen. Er legt eine Hand auf die Mitte des Lenkrades und drückt auf die Hupe. Die andere Hand wandert zum Lichthebel neben dem Lenkrad und reißt diesen so schnell er kann vor und zurück.  Die hektische Lichthupe zusammen mit dem Dauerhorn zwingt das entgegenkommende Fahrzeug an den äußersten linken Rand der Asphaltpiste. Da der andere Fahrer genau den gleichen Zauber veranstaltet, bewegen wir uns auch zur linken Fahrbahnkante. Allerdings wird die Fahrbahn dadurch auch nicht geräumiger, so dass die beiden Piloten sich weiterhin auf Kollisionskurs bewegen.

 
Aber es muss einen Plan geben, um den frontalen Crash zu verhindern, denn der Schaffner klappt noch geschwind den Außenspiegel ein. Genau in dem Moment in dem der Zusammenstoß unvermeidlich ist, lassen beide Fahrer die Hupen los, greifen entschlossen wieder das Lenkrad und verlassen in einem kleinen Bogen nach links die Fahrbahn. Der Bus beginnt umzufallen, aufgrund der hohen Geschwindigkeit bleibt ihm dafür aber nicht genügend Zeit. Bevor er sich entschließen kann, finden wir uns auf der Fahrbahn wieder und setzen die Fahrt fort als sei nichts geschehen. So wird einer nach dem anderen der Gegenverkehr umfahren, unter Einsatz aller Steuerungsmittel die dem Fahrer zur Verfügung stehen, mit Ausnahme der Bremse.

 
Nach einigen Stunden habe ich mich an das Schauspiel gewöhnt, zumal mich allmählich ein anderes Problem plagt. Wer in der Wüste leben will, muss viel trinken, an diese Regel habe ich mich gehalten, sehr zu meinem Leidwesen. Gibt es Yogaübungen um die Blase zu erweitern? Irgendeinen Trick müssen die Inder jedenfalls besitzen, denn wir fahren schon seit vier Stunden ungebremst durch die Landschaft. Der Leidensdrang wird zu groß und ich beginne, mich aus dem überdimensionalen Gepäcknetz zu schälen und nach unten zu klettern. Entweder erkennt der Fahrer meine Not im Rückspiegel, oder es ist Zufall: kaum habe ich den Boden berührt bringt er zum ersten Mal die Bremse zum Einsatz und hält an. Ich bin doppelt erleichtert: Weil ich nicht in den Bus pinkeln muss und weil ich jetzt weiß, dass die Bremse funktioniert.

 
Nun springen alle auf und jeder drängelt – mehr oder weniger yogisch – zum Ausgang Mir wird bewusst, dass hier in Indien Drängeln und Rücksicht keineswegs einen Widerspruch darstellen. Gleichzeitig bin ich beruhigt, auch Inder besitzen eine endlich große Blase. Mein vorzeitiges Aufstehen verschafft mir einen veritablen Vorsprung und ich bin als einer der ersten vor dem Bus. Draußen trifft mich die Hitze und… sonst nichts. Weit und breit ist nur Wüste, wer dem Ruf der Natur folgen will muss dafür in die Natur gehen. Es gibt nur eine Regel, Frauen links und Männer rechts. Da wo ich stand werden jedenfalls in den nächsten zweieinhalb Jahren keine wüstentypischen Verhältnisse mehr herrschen.

 

Fünf Stunden später ist die Fahrt beendet als auf wundersame Weise der Bus und unser Gastgeber am Zielort zusammentreffen. Freudig verlassen wir den Bus, froh über das Erlebnis einer Busfahrt in Indien und froh, dass sie glücklich vorüber ist.

Wie Amerika wieder groß wird: Donald Trump?

Der Wahlkampf von Donald Trump lebt von der schweigenden Mehrheit. Damit genau das nicht funktioniert, werde auch ich mich vom Schweigen trennen und ausnahmsweise in diesem Blog politisch. Warum stammen nahezu alle amerikanischen Präsidenten aus den Familien Kennedy, Bush oder Clinton? Selbstverständlich gibt es auf diese Frage keine vernünftige Antwort. Aber es existiert eine logische Konsequenz und die lautet: Das sollte mal einer ändern, oder es zumindest versuchen. Aber warum in aller Welt ausgerechnet Donald Trump?
Ich verstehe ja, dass eine Bewerbung ein gewisses Eigenkapital erfordert, aber dennoch sollte es unter vierhundert Millionen Amerikanern doch eine andere Wahl geben? Gut, die Randbedingung in den USA geboren zu sein reduziert das Potential. Aber selbst wenn wir Arnold Schwarzenegger und die Immigranten der ersten Generation abziehen, bleiben noch eine Menge Amerikaner übrig. Da aber entgegen aller Wahrscheinlichkeit ein Herr Trump kandidiert und dabei auch noch entgegen aller Logik in den Vorwahlen echte Wählerstimmen erhält, komme auch ich nicht daran vorbei. Ich muss ihn betrachten, oder genauer gesagt die Website seiner Kampagne, auf den Anblick der Person kann ich gut verzichten und dabei bin ich bei Frisuren keineswegs empfindlich.
Nachdem ich bestätige, kein Roboter zu sein, darf ich auch schon rein, in die wundersame Welt des Kandidaten. Im Wesentlichen besteht der Auftritt aus drei Anliegen: Unterstützer zu werben, Spenden zu sammeln und Werbeartikel verkaufen. Alles drei ist bei mir vergebliche Liebesmühe.
Eine einzelner Link auf der Website ist aber auch dem politischen Inhalt, der Mission des Kandidaten, gewidmet und breitet seine Positionen aus. Sonderlich breit ist das Spektrum allerdings nicht, dafür geht es aber auch nicht tief. Ganze fünf Kernaussagen in kleine Kisten verpackt genügen, um die Zukunft der USA so rosarot zu färben, wie sie zuletzt Janis Joplin 1969 auf einer Wiese in Woodstock erschien. Früher in der Schule nannten wir so etwas den „Mut zur Lücke“; das kann funktionieren, muss es aber nicht.
Die größte der Kisten beschäftigt sich mit dem zweiten Anhang zur Verfassung, dem „Grundrecht“ Waffen zu tragen. Ein strategisch durchaus sinnvoller Plan, denn aus eigener Erfahrung weiß ich, dass die Liebe zur Waffe in den USA eine ganz eigene ist. Für uns so unbegreiflich wie dem Japaner die deutsche Vorliebe für Schweinshaxe mit Sauerkraut. Allerdings – bei allem Respekt vor den gesundheitsschädigenden Folgen von Schweinefleisch – eine Liebe, die deutlich gefährlicher ist.
Selbst die Amerikaner, die heute noch gefühlt zwischen Lederstrumpf und rauchenden Colts gen Westen ziehen, finden hier noch die ein oder andere Überraschung. Der Staat möge doch Führerscheine regulieren, aber nicht das verdeckte Tragen von Waffen zum Beispiel.
Die nächste Überraschung erlebe ich in der Kiste zu Gesundheitsreform. Herr Trump schlägt etwas vor, was sich nur als Obama-Care auf Drogen bezeichnen lässt. Kostenlose Krankenversicherung für alle, mit freier Arztwahl und das nicht nur für körperliche, sondern auch für seelische Gebrechen … einziger Schönheitsfehler: Das Ganze soll nur für Kriegsveteranen gelten.
Danach ist dann aber auch Schluss mit Überraschungen, die drei letzten Kisten sind vorhersagbar: Donalds Verhandlungsstärke wird die Chinesen in die Schranken weisen und ihre Fabriken mitsamt Arbeitsplätzen wieder in die Staaten führen. Die Steuerklärungen werden demnächst auf einen Bierdeckel passen, wobei natürlich ein jeder weniger bezahlen muss. Schließlich wird das perfekte Amerika durch eine undurchlässige Mauer entlang der Grenze zu Mexiko abgerundet.
Diese Mauer sollen die Mexikaner übrigens selbst bezahlen, ein Gedanke, der gar nicht so abwegig ist, aus Eigenschutz. Sobald die wohlversorgten Veteranen mit halbautomatischen Waffen in Horden durch Texas ziehen, wird die Mauer für Mexiko quasi unvermeidlich.
Der Teil in dem alle weniger Steuern bezahlen am Ende aber mehr Einnahmen entstehen ist etwas nebulös. Der angegliederte Onlineshop liefert aber einen Hinweis, wie es funktionieren könnte. Dort ist einer der meistverkauften Artikel das „Team Trump“-Paket, eine bunte Sammlung von Ansteckern, T-Shirts und Mützen die es erlauben für Trump zu trompeten. Für zwei Personen kostet der Spaß achtzig Dollar, für sechs Personen dreihundertfünfunddreißig, mehr als viermal so viel. So rechnet ein echter Geschäftsmann.
Also bleibt am Ende nur zu hoffen, dass die Legende doch stimmt, nach der die USA das demokratischste Land der Erde ist. So demokratisch, das selbst ein Donald Trump kandidieren kann. Aber eben auch nur das.
(Dieser Artikel darf von allen Parteien in den USA unentgeltlich zu Wahlkampfzwecken verwendet werden)

Aschermittwoch

Spätestens der Aschermittwoch spült die melancholischen Gedanken in das kölsche Gemüt, umso mehr je weiter das von Köln entfernt ist. Zeigen kann der Kölner das natürlich niemandem, aber es treibt ihn um, tief im Herzen. Sofern er das nicht in den tollen Tagen verschenkt hat, und vergessen es wieder einzusammeln. Der nächste Karneval ist weiter entfernt denn je, der Blick nach vorne verheddert sich in der grauen Fastenzeit und das Jetzt leidet unter Restschminke. So bleibt nur der Blick zurück in die gute alte Zeit, denn dort in seinen Erinnerungen findet er die Rettung. Keiner überlebt in dieser Stadt, ohne eine Sammlung ganz eigener Erinnerungen an den Karneval, eine Kiste voller Erlebnisse, die sich – wie die Kiste mit den Kostümen- von Jahr zu Jahr weiter füllt.

So ergeht es natürlich auch mir, dem Imi. Niemand hegt auch nur den Funken eines Zweifels daran, dass der Zugereiste mit Herz und Seele Karneval feiert. Allerdings geht es dem Karnevalisten wie dem Skifahrer: Nur wer es mit der Muttermilch lernt, wird die perfekte Geschmeidigkeit erreichen. Bei allen jedoch sammelt sich über die Jahre ein persönlicher Vorrat an Karnevalserinnerungen, Wundermittel im Kampf gegen den Aschermittwochsblues:

Mein erster Karneval in Köln. Die Studentenbude bietet den sicheren Hafen für den Karnevalsbesuch aus der provinziellen Heimat. Also lautet des Gastgebers erste Pflicht: Nahrung sicherstellen; fest und flüssig. Und das spätestens an Weiberfastnacht, denn danach werden die Geschäfte geschlossen, zumindest zu den Tageszeiten, an denen sich ein Student im Laden sehen lassen kann. An der kombinierten Fleisch-Käsetheke des Supermarkts beginne ich zu verstehen warum es Weiberfastnacht heißt: ich bin von Frauen umgeben. Vor mir die Verkäuferin – mutig als Huhn verkleidet – hinter mir ein Papagei und ein Lappenclown, die gemeinsam über mehr als hundert Jahre Lebens- und Karnevalserfahrung verfügen.

Käse verlange ich zunächst, und zwar Gouda, ein großes Stück. Andere Käsesorten sind mir in dieser Lebensphase noch fremd, außer Schmierkäse in Dreiecksform und Babybel, aber der darf sich nicht Käse nennen. „Darf es ein Stück von dem alten Gouda sein?“ Wenn es nach der Stimme geht, so hätte sich die Verkäuferin als Hahn verkleiden sollen, ihre Frage ist auch noch im letzten Winkel des Supermarktes zu verstehen. Natürlich lehne ich ihr Ansinnen ab, der Käse muss über das lange Wochenende halten, da kann ich keinen gebrauchen, der jetzt schon alt ist. Papagei und Lappenclown hinter mir amüsieren sich köstlich.

Wenn ich meine Kompetenz in Sachen Käse noch als passabel bezeichnen würde, so musste ich im nächsten Schritt auf wirklich dünnes Eis: Ich will Rindersuppe kochen. Dafür benötige ich Fleisch, besitze jedoch keine Ahnung welches und wieviel. Ich bin nur froh, dass ich mich gegen Hühnersuppe entschieden hatte. In solcher Not hilft nur die Flucht nach vorne unter die hoffentlich warmen Flügel des Metzgereihuhns, dem ich mein Begehren und meine Unwissenheit beichte.

„Da nehmen sie ein Stück hohe Rippe und einen schönen Markknochen und dann passt das“,

so lautet ihre Diagnose und sie beginnt, die entsprechenden Teile abzuwiegen. Ein Fehler, der nicht ungestraft bleiben wird, denn sie ignoriert eine Grundregel der rheinischen Demokratie die da lautet: »Jeder der denkt, er müsste etwas sagen, wird gehört«. Die beiden Damen hinter mir mögen in ihrem Leben zehntausende von Suppen gekocht haben und werden nicht befragt? Es wäre nicht Köln wenn sie ihr Wissen nicht auch ungefragt preisgeben würden. Ohne seine Enttäuschung zu verhehlen, beginnt der Papagei:

„Also du närrisches Huhn, das ist doch Quatsch, Leiterstück braucht der Junge, damit es eine richtige Suppe gibt“.

Einsatz Lappenclown: „Das wird nichts, der ist Anfänger. Beinscheiben muss er nehmen und einen Ochsenschwanz“.

Das Huhn wagt zu widersprechen, immerhin sei es gelerntes Fleischereifachverkaushuhn!

Dieses Argument bringt die beiden Damen keineswegs zur Ruhe. Im Gegenteil, der Papagei wirkt mit den Händen an den Hüften und hochrotem Kopf wie eine mittelalterliche Marktschreierin und der Lappenclown geht dazu über, seine Argumente mit dem Trommelstock zu untermauern.

Im Auge dieses Sturms entsteht ein kleiner Moment der Ruhe, den ich schleunigst ausnutze und einfach von allem etwas ordere, Leiterstück, Beinscheibe, Markknochen, Ochsenschwanz und hohe Rippe landen in meiner Tüte. Die Suppe war nicht günstig, aber hervorragend. Wer sagt denn, dass ein Kompromiss immer auf dem kleinsten gemeinsamen Nenner enden muss.

Kulturexport

Mein Schreiben soll nicht die Welt verändern! Zumeist ist das eigene Vergnügen daran genügender Antrieb. Heute jedoch kann ich nicht anders, als einen Aufruf zu starten, der hoffentlich weltweite Wirkung zeitigt, trotzdem es – wie immer – um eine kleine Geschichte von kleinen Dingen geht.

Welche kulturelle Leistung der Deutschen wird im Ausland sträflich vernachlässigt? Nein, ich rede nicht vom Oktoberfest, das wird in nahezu jedem Land der Erde häufiger gefeiert als in München. Auch die großen Dichter und Denker sind außerhalb unserer Heimat oft präsenter. Viele Deutsche müssen sich auf dem Theaterplatz in Weimar von einem japanischen Touristen erklären lassen, dass es sich bei den beiden Männern des Denkmals nicht um die Gebrüder Grimm handelt. Auch deutsche Ingenieurskunst ist weltweit bekannt und selbst dunkles Körnerbrot duftet im Siegeszug rund um den Globus. Allein einer Errungenschaft unserer Kultur bleibt die globale Anerkennung bisher verwehrt: dem Eierbecher.

Mancher mag seine besondere Bedeutung noch gar nicht erkannt haben, aber wir wissen Wichtiges ja erst dann zu schätzen, wenn es nicht mehr vorhanden ist: Licht, Freunde, Toilettenpapier. So ergeht es auch dem Eierbecher. Wer ihn nie vermisst hat, der ist noch nicht verreist. In Österreich ist er zuweilen noch zu finden, aber spätestens, wenn in der Schweiz die deutsche Sprache verschwindet, verabschiedet sich auch der Becher; gruß- und ersatzlos. Und auf jeder Reise, in jedem Land falle ich wieder darauf herein. Die Frühstückseier wandern in das kochende Wasser und genau fünf Minuten später bricht Panik aus.

Die Ferienwohnung oder Hostelküche ist mit jeden nur erdenklichen Komfort versehen, allein es fehlen die Eierbecher. Startschuss für die hektische Suche nach einem Ersatz. In Spanien finde ich dann meist ein etwas zu klein geratenes Weinglas und in Italien muss eine Espressotasse herhalten. Die Rettung in Frankreich erschien mir schon in Gestalt eines Schneckentellers, zum Glück sind dort ja auch Wachteleier weit verbreitet. Da in den USA bekanntlich alles größer ist, greife ich zur Muffinform.

Ansonsten ist guter Rat teuer, oft bleibt nur der Griff zur bereits erwähnten deutschen Ingenieurskunst. Aus Hotelservietten lässt sich mit etwas Geschick ein recht stabiles Papierschiffchen falten. Und das Ganze, während ich das abgeschreckte Ei auf einem Löffel balanziere. Eine wacklige Geschichte und ein mehr als dürftiger Ersatz. Obendrein wird die Freude am weichen Ei mit ziemlicher Sicherheit von reichlich Kleckerei begleitet werden.

Warum das Verbreitungsgebiet der Becher so begrenzt ist, habe ich nie verstanden. Aber zum Glück existieren inzwischen die sozialen Netzwerke und präsentieren uns die offensichtliche Lösung. Kein Vermieter und kein Hotelier auf dieser Welt, der ohne hervorragende Bewertungen auf diesen Netzwerken noch mit Gästen rechnen kann.

Wenn wir gemeinsam arbeiten und jeden fehlenden Becher konsequent mit Punktabzug bei booking.com und Tripadvisor abstrafen, dann wird sich die Welt unseren Wünschen nicht lange entziehen können. Zunächst werden Quartiere ohne Eierbecher aus dem Internet verschwinden und wenig später aus unserem Leben, denn dem Hotelier ohne Eierbecher stehen nur zwei Wege offen. Der Weg in die Insolvenz oder der in die Haushaltswarenabteilung. Falls es aber auch dort keine Becher zu kaufen gibt? Dafür wurde der Versandhandel erfunden und die Internetseite http://www.eierbecher.de ist noch verfügbar.

Mit Deutschen reden

Die Jüdin in Amerika
„Mit Deutschen reden fällt mir immer schwer …“. Kaum hat meine Tischnachbarin diesen Satz ausgesprochen, bleibt meine Gabel unschlüssig in der Luft hängen und all meine Warnlichter leuchten auf. Sie ist Jüdin und ich ein Deutscher aus der Generation, die niemals unbefangen mit Juden umgehen wird. Unberührt fährt sie fort: „…weil die immer so entschuldigend auftreten“. Treffer und versenkt! Auch wenn ich so lange nach 1945 geboren bin, dass mir keine Beteiligung – und sei es auch nur eine stille – an den Naziverbrechen vorzuwerfen ist, so wird mich doch die historische Schuld nie verlassen. Nicht als eine persönliche, unüberwindliche, aber als ein Teil meines Landes, meiner Heimat. Wenn mich denn mehr mit Deutschland verbindet als nur der Reisepass, dann gehören eben auch die dunklen Seiten dazu.
Das versuche ich ihr, möglichst ohne Entschuldigung, zu erklären. Sie lacht und erklärt mir freundlich: „Genau das meine ich und obendrein seht ihr Deutschen immer die Probleme, dabei lebt ihr in einem wunderschönen Land!“ Gut beobachtet, denke ich. Vielleicht ist es die wichtigste Erkenntnis des Reisens: Der neue Blick auf das Bekannte und die Heimat; nicht zuletzt durch die Augen und Worte der Fremden.

 
Der Tansanier in Deutschland
„Ja, ich war auch schon einmal in Deutschland, alles war wunderbar“, so erklärt mir der junge Afrikaner nach dem Konzert. Auf Konzertreise mit seinem Chor ist er durch Deutschland getourt und alles, was ich ihm entlocken kann, sind Loblieder auf dieses Land. Das Wetter, das Essen, die Menschen, die Züge mit Klimaanlage, die Zentralheizungen in den Zimmern, das Wasser aus der Leitung. Nur Gutes hat er in Deutschland gesehen und das fließt in Strömen, fährt pünktlich und ist immer sauber.
Ich lasse nicht locker und meine deutsche Krämerseele nicht los, es muss doch auch irgendetwas geben das ihn gestört hat? Aber sei es wahr oder der afrikanischen Freundlichkeit geschuldet, er kann sich beim besten Willen an nichts Negatives erinnern. Ich versuche es von der anderen Seite, wenn schon nichts Störendes, dann muss er doch zumindest etwas Überraschendes erlebt haben? Er überlegt eine ganze Weile bevor er mich mit strahlendem Lachen aus seinem dunklen Gesicht anschaut: Doch, zwei Dinge haben ihn wirklich gewundert: Das fast alle Menschen weiße Haut besitzen und die Taxis alle einen Mercedesstern.

 
Der Chinese in Neuseeland
Im Billigflieger nach Hongkong sitze ich auf einem Mittelplatz. Die Asiaten haben die Billigairlines erfunden und zur Perfektion geführt. Der Mittelplatz ist so eng, dass er nur zwei Optionen bietet: sich still mit dem Sitznachbarn um den nicht vorhandenen Platz streiten oder laut für die Dauer der Reise zu befreunden. Wenn ich meinem Nachbarn schon näher auf Pelle rücken muss als meinen besten Freunden, entscheide ich mich für die zweite Variante. Mein Sitznachbar, ein Festlandchinese auf dem Heimweg von seinem Studienjahr in Neuseeland, findet auf meine Fragen allerdings nur lapidare Antworten. Pädagogik hat er dort studiert, anders sei das als in China. Von Neuseeland hat er wenig gesehen, keine Zeit. Auch zuhause würde sich niemand auf ihn freuen, bestenfalls auf die Geschenke die sich in seinem Rucksack befinden. Selbst meine Jokerfrage, ob er sich denn auf das chinesische Essen bei seinen Eltern freue, entlockt ihm nur einen emotionslosen Halbsatz: Der Reis in Neuseeland stamme ebenso aus China, wie das chinesische Milchpulver aus Neuseeland.  Sollte ein Pädagoge nicht für irgendetwas Begeisterung aufbringen können?
Zu meiner Verwunderung findet er etwas, als er hört dass ich in Deutschland lebe. „Das muss ja wirklich ein außergewöhnlich schönes Land sein!“, sagt er und richtet sich in seinem Sitz auf, was unweigerlich dazu führt, dass er seinen Ellenbogen in meine Rippen rammt. Sobald ich wieder atmen kann, versichere ich ihm, dass Deutschland schön ist und will wissen worauf denn seine Erkenntnis beruht. Seine Antwort verwundert mich: „In Neuseeland leben ja Menschen aus allen Ländern dieser Erde.“ Wie recht er hat, so viele dass ich mir schon die Frage gestellt habe, ob denn in Deutschland noch ein Abiturient übrig ist. „Alle müssen irgendwann zurück“, so fährt er fort, „aber nur die Deutschen freuen sich darauf wieder nach Hause zu fliegen. Also muss Deutschland das schönste Land sein“. Der Flieger landet und ich darf das Kompliment an mein Land genießen ohne darauf antworten zu müssen. Direkt hinter dem Ausgang des Flugzeugs trennen sich unsere Wege, ich darf ohne Visum nach Hongkong einreisen, er wird direkt zum chinesischen Festland geleitet.

 
Der Chilene in Australien
So leicht wie der Chinese macht es mir der Südamerikaner nicht, den ich in der australischen Wüste treffe. Er fragt mich aus: Wie sieht es aus Dein Land? Was gibt es dort zu sehen? Lohnt es sich dorthin zu reisen? Ich weiß nicht wo ich anfangen soll, erzähle von den Städten, der langen Geschichte, den Alpen, dem Meer und treffe nur auf höfliche Langeweile. Auch Wälder und Burgen oder Dichter und Denker erzeugen keine Begeisterung in seinen Augen. Ich probiere es mit Rhein und Mosel und erwähne eher beiläufig die steilen Weinberge und das daraus resultierende Getränk. „Wein!“, so ernte ich endlich eine Reaktion, und die ist so intensiv wie die meine auf den Satz der Jüdin. „Vom deutschen Wein habe ich bereits gehört, der soll etwas ganz Besonderes sein,… ich glaube den nennt ihr Glühwein“

Von der Insel 3

Dem Reisenden, der den Flughafen Stansted verlassen möchte – und ehrlich betrachtet gibt es keinen Grund zu bleiben – steht nur eine Straße offen, die Autobahn M111. Und glücklich ist derjenige, der nicht mit einem Pferd oder einer Kutsche ankommt, denn diesen Gefährten wird an der Flughafenausfahrt dieser einzige Ausweg mit eindeutiger Beschilderung versperrt. Wer hoch zu Roße oder auf mit einer Droschke unterwegs ist, darf nicht vom Flugplatz scheiden.
Weit hergeholt? Mit Sicherheit, aber eben auch wahr. Ausgerechnet in England – dem Mutterland der sanften Hinweise – trifft den Pferdenarr ein Verbotsschild mit einer Vehemenz, die selbst die Autobahnbrücke in Leverkusen von fehlgeleiteten Lastwagen befreien würde. Und das in einem Land, welches die direkte Verneinung und das Verbot scheut wie der Teufel das Weihwasser. Bleiben wir bei dem Beispiel der Leverkusener Brücke. Stünde die, was der liebe Gott verhüten möge, in England, dann wäre dort anstelle des Verbotes ein schlichter Hinweis angebracht: „Für Schwerverkehr nicht geeignet“. Und dieser Hinweis würde absolut jeden Lasterfahrer von der Brücke fernhalten.
Warum aber dann die ungewöhnlich eindeutige Beschilderung am Flughafenausgang? Und warum ausgerechnet gegen Pferde und Kutschen gerichtet? Ich sehe ja ein, dass die M111 für Ausritte denkbar ungeeignet ist, aber das gilt für nahezu alle Autobahnen in London und bisher konnte ich an keiner anderen Auffahrt ähnliche Schilder entdecken. Es muss also etwas anderes dahinterstecken.
Es könnte am britischen Rechtssystem liegen, das auf Präzedenzfällen beruht die manchmal seit mehreren Jahrhunderten Gültigkeit besitzen. Vielleicht klagte 1783 ein britischer Bürger darauf, dass ein öffentlicher Hafen jederzeit mit der Kutsche erreichbar sein muss, und bekam damit Recht? Dieses Recht verlor niemals die Gültigkeit und natürlich ist auch ein Flughafen als Hafen zu bewerten. Also darf die Verwaltung keinen Kutschenfahrer daran hindern, zum Flugfeld zu kutschieren. Ein findiger Beamter kommt auf die Idee diesen Gefährten dann die Rückfahrt zu untersagen, davon hatte der Richter im Jahr 1783 nicht gesprochen. Eine elegante Lösung des Dilemmas! Welcher Kutscher möchte sein Gefährt zum Flughafen fahren, wenn er es dann nicht wieder zurückbekommt, von den Preisen für das Parken in Stansted einmal abgesehen.
Zugegeben, meine Erklärung ist reichlich konstruiert, aber das ist in England kein Problem. Sie besitzt aber einen anderen, viel größeren Haken: Ein solches Vorgehen erscheint unfair gegenüber den Reitern und Kutschern. Und unfairen Umgang kann es nicht geben – schon gar nicht für Pferdebesitzer – dafür sind „Fair Play“ und Reiten im Inselstaat ein viel zu hohes kulturelles Gut.
In der Not bitte ich meine Kollegen um Hilfe: Wozu dienen die Schilder, die obendrein noch nagelneu in der Sonne glänzen? Und warum strotzen sie so von deutscher Direktheit? Zunächst bekomme ich nur ausweichende Antworten, was aber meine Neugierde nur steigert. Also entschließe ich mich zum Äußersten und dränge einen der Kollegen so lange in die Ecke, bis er der Antwort nicht mehr ausweichen kann: „You know, at the airport we do have quite some travellers“.
Soweit kann ich ihm folgen, das mit den Reisenden soll an Flughäfen zuzeiten vorkommen. Ich lehne mich zurück und warte auf den Rest der Erklärung, doch sie kommt nicht. Nach einer langen Pause empfindet der Kollege offensichtlich Mitleid mit mir und meinem hilflosen Blick: „I mean THESE travellers, mainly in the winter“. Langsam geht mir ein Licht auf, und die Suche im Onlinewörterbuch bestätigt meine Vermutung: Bei den Reisenden handelt sich um Zigeuner, die gerne rund um den Flughafen ihr Winterquartier aufschlagen.

 

(der dritte und vorerst letzte Teil der Inseltrilogie, so den Teilen eins und zwei geht es hier:

https://koelnerzeilen.wordpress.com/2013/08/19/von-der-insel-teil-2/

https://koelnerzeilen.wordpress.com/2013/07/12/von-der-insel-1/   )

Der singende Biergarten – Nippestrilogie Teil 2

Jede Stadt besitzt ihre eigenen Lieder, zumindest eines davon. Und wenn nicht, wie die Hansestadt Bremen, dann veranstaltet der Bürgermeister des armen Ortes einen entsprechenden Wettbewerb. Der siegreiche Titel: „Bremen gibt Vollgas“! Das wird auch bitter nötig sein, um die anderen einzuholen.

Denn manche Städte sind über diese bescheidenen Anfänge weit erhaben. Nehmen wir Bochum, da, reicht es, wenn ein mittelmäßig begabter Barde „Tief im Westen …“ in ein Mikrofon schnarrt und die Band kann eine Pause machen, weil alle Zuhörer mitsingen. Und ist das Pausenbier am Ende des Liedes noch nicht leer, dann bleiben die Zuschauer auch davon unberührt und zelebrieren ein vielstimmiges „Glück auf“. Glückliche Bochumer, sie achten ihre Stadt und konzentrieren sich darauf, stehen mithin auf der zweiten Stufe der Erleuchtung.

Wer allerdings in Deutschland musikalisch die siebte und letzte Stufe dieser Erleuchtung – das Ausbreiten tiefer Freude und Glückseligkeit – erreichen möchte, dem bleibt nur der Weg nach Köln. Zum Beispiel in den singenden Biergarten im Agnesviertel, wo Günther seiner Mundharmonika nur ein paar Töne entlockt und schon tönt es aus siebenhundert Kehlen: „Ich bin ene kölsche Jung“. Dabei ist die Hälfte der Kehlen weiblich und weitaus mehr als die Hälfte „Imis“, also gar nicht in Köln geboren.

Dieses wunderbare kölsche Wort „Imi“ wird häufig falsch geschrieben als „Immi“ und auch falsch verstanden als Kurzform von Immigrant. Nichts jedoch läge dem Kölschen ferner, denn er kennt ja seine Lieder und weiß: „Su simmer all he hinjekumme…“, also dass jeder irgendwie ein Immigrant ist. Natürlich muss es „Imi“ heißen und das ist eine Abkürzung für einen „imitierten Kölschen“. Für mich ein Ehrentitel, der von jedem Zugereisten erarbeitet werden muss, den aber auch jeder erhalten kann.

Schwieriger ist da schon die Frage, wann denn dieser Status erreicht ist? Eine allgemeingültige Regel gibt es nicht, wie so oft gilt auch hier „Hey Kölle, do bes e Jeföhl“. Vielleicht hilft ein Beispiel: Wenn meine westfälischen Freunde, am Ende einer Kneipennacht im Karneval, mit den letzten Stimmresten singen: „Die Karawane zieht weiter, der Sultan hält durch“, dann sind sie eben noch keine Imis. Der kölsche Sultan muss nicht durchhalten, sondern er hat einfach Durst.

Wann genau ich zum Imi geworden bin, kann ich nicht mehr sagen. Vermutlich am Tag der Vordiplomprüfung, die auf Weiberfastnacht fiel. An der altehrwürdigen Universität zu Köln war es üblich, im Anzug zur Prüfung zu erscheinen. Der Kölner ahnt es bereits, kurz hinter dem Unicenter hatte ich jede Menge Küsschen erhalten aber meine einzige Krawatte schrumpfte auf weniger als die Hälfte ihrer ursprünglichen Länge. Der prüfende Professor – wie ich später erfahren sollte, ebenfalls ein Imi – konnte darauf in rheinischer Geschmeidigkeit reagieren. Die unzureichende Antwort auf seine erste Frage kommentierte er gelassen: „Wer nur eine halbe Krawatte besitzt, besteht auch mit der halben Lösung“.

Vielleicht geschah es aber auch, als ich erkannt hatte, welche Rolle das kölsche Liedgut im Alltagsleben besitzt. Egal ob an der Ladentheke oder im Restaurant: Wenn die Rechnung nicht stimmt, muss sich der Kölner weder mit dem Kassierer noch mit dem Köbes streiten. Der sanfte Einwurf: „En d’r Kayjass en d’r Schull?“ wird garantiert zu einem korrekten Ergebnis führen.

Der Kölner singt nicht über seine Stadt, er singt mit ihr und in ihr, weil er eben Köln ist. Überall sonst würde das Lied heißen „Ich bin in Kölle am Rhein zu Hause“, nur in Köln heißt es „Ich ben vun Koelle am Rhing ze Hus“. Ein kleiner aber wichtiger Unterschied, denn während das Wörtchen „in“ einzig den Ort beschreibt, so macht das „von“ den Kölner zum Teil seiner Stadt. Dadurch wird sie lebendig. In aller Welt erbt die Stadt von ihren Bürgern, wenn sich keine Nachfahren finden, nur in Köln erbt der Bürger von seiner Stadt: Gute Laune und mit nichts etwas am Hut zu haben. Damit der Worte genug, denn „Et jitt kei Wood dat sage künnt, …“

Meier’s Weltreisen

„Sprechen sie Deutsch? Ich habe sie gerade reden hören.“ Das sollte die Frage dann eigentlich beantworten, so denke ich mir, nicke aber trotzdem freundlich zur Bestätigung. Mehr Antwort benötigt die fortgeschrittene Dame auch nicht. Neben dem Alter und ihrem Gewicht, ist sie auch im Verwenden vieler Worte sehr fortgeschritten. Sie trägt ein Safarihemd und Wanderhosen in Dreiviertellänge, dazu einen Deuter-Rucksack und genügend Make-Up um vor Wespenstichen sicher zu sein. Vom Rucksack verkündet ein neonleuchtender Aufkleber: „Meiers Weltreisen“.

„Müssen sie auch rückwärts reisen?“ Der Schreck fährt mir durch alle Gebeine! Wenn diese Frau eine Zeitreisende ist, dann möchte ich die Zukunft nicht erleben. Aber vielleicht meint sie ja auch den Zug, denn ich stehe auf dem Bahnhof des Städchens Pyin oo Lwin im Norden von Myanmar. Manchen Menschen fällt es ja schwer im Zug entgegen der Fahrtrichtung zu sitzen.

„Stellen sie sich vor,…“ stößt sie aufgeregt hervor. Nein, ich möchte mir nichts vorstellen und mich selbst schon gar nicht. Aber das ist auch ebenso unnötig wie zuvor eine Antwort. In der Dame sitzt eine Geschichte und wenn sie die nicht jetzt sofort erzählen kann, dann wird sie platzen. Das wiederum möchte ich mir schon gar nicht vorstellen, denn um uns herum drängt sich eine wuselnde Menschenmenge. Alle warten auf den täglichen Zug, ein Ereignis das ungewöhnliche Begegnungen ermöglicht. Hier treffen Mönche auf Ziegen, burmesische Rentner auf Smartphones in Teenagerhänden und eben auch Pauschal- auf Rucksacktouristen. Und ich wohl auf die Geschichte dieser Frau.

„Wir haben die große Asiendurchquerung gebucht, alle wichtigen Sehenswürdigkeiten zwischen der russischen Grenze und dem Indischen Ozean in einundzwanzig Tagen. Alles hat wunderbar funktioniert, bis vorgestern. Die Grenze zwischen Myanmar und China ist geschlossen, wegen so einer Art Bauernaufstand. Nur deshalb mussten wir umdrehen und das Flugzeug nehmen. Deswegen stehen wir jetzt hier. Dabei ist noch nicht einmal klar wer da gegen wen kämpft und weshalb.“
„Das ginge ja noch!“ Mit diesen Worten mischt sich ihr Mann ein, der sich bisher hinter dem großen Teleobjektiv einer Kamera versteckt hatte. Offensichtlich handelt es sich um den Gatten, denn bis auf das Make-Up präsentieren sich beide in perfektem Partnerlook, nur das sein Anhänger von Meier‘s Weltreisen in einer anderen Neonfarbe strahlt.

„Das kennt man ja in diesen Ländern, dass sie gegenseitig Bomben aufeinander werfen ohne einen triftigen Grund. Aber die hier wissen noch nicht einmal wo sie die Bomben hinwerfen. Die Chinesen behaupten das Reisfeld hätte in China gelegen, die Burmesen sagen es liegt in ihrem Land. Da wissen die noch nicht mal wo ihre Grenze ist, und deswegen dürfen wir nicht durch. Ein Skandal ist das.“

Ja, dem Deutschen sind seine Grenzen heilig. Ich habe von dem Vorfall gelesen. In der Tat ist unklar wer ihn verursacht hat: chinesische Terroristen die von den Burmesen Freiheitskämpfer genannt werden oder burmesische Terroristen die in China Freiheitskämpfer heißen? Oder aber aufständische Bauern welche beiden Regierungen als Terroristen gelten? Die vier getöteten Reisbauern kann auch keiner mehr fragen. Wahrscheinlich hätten sie aber auch vor ihrem unerwarteten Ableben nicht gewusst, ob ihr Feld sich in China oder Burma befindet. Wozu sollte die Unterscheidung auch nützlich sein, mehr Reis wächst davon auch nicht.

„Genau zwei Tage vor unserer Ankunft“, so fährt das wandelnde Teleobjektiv im Partnerlook fort, „da hätten sie doch wenigstens noch eine Woche warten können.“ Oder zwei Tage, denke ich, dann hätte er die Bombe vielleicht aus dem Zug fotografieren können. Aber, auch wenn es immer schwerer fällt, ich folge dem Beispiel der Burmesen: Wenn ich etwas nicht verstehe, immer freundlich lächeln.

„Obendrein hat meine Frau auch noch Durchfall bekommen, wir werden uns mit Sicherheit beschweren. Wir haben ja nun wirklich genug Geld bezahlt.“

„Und ob wir uns beschweren werden, sie wissen gar nicht was ich in diesem Land an Toiletten erleben musste“, so reißt das wandelnde Make-Up den Faden wieder an sich. Immerhin hat sie so etwas von diesem Land gesehen, dass nicht vorher im Prospekt stand, so geht es mir durch den Kopf.

Jetzt war der Moment gekommen an dem ich aktiv in den Dialog eingreifen musste, denn beide schauen mich an wie ein Bernhardiner sein Schnapsfass. Mein Blick hingegen bleibt an den Neonanhängern von Meier’s Weltreisen kleben, gelb hinter dem Teleobjektiv und grün hinter dem Make-Up und mir fällt nur eine Antwort ein:

„Da hätte er sich aber wirklich mal drum kümmern können, der Herr Meier!“

Liebster Award

Das ist sie also, die Strafe für drei Monate Abstinenz vom Bloggen, und kein anderes als das höchste Strafmaß scheint angemessen: https://wortwabe.wordpress.com/ hat mich für den „Liebster Award“ nominiert. Wer wissen möchte was das ist: der Herr Google kennt die Antwort, aber eine Folge ist, dass ich elf Fragen beantworten darf, digitale Version des mittelalterlichen Peitschenhiebes. Aber das Bloggen auch heute noch echte Peitschenhiebe bereithält (Raif Badawi aus Saudi Arabien wurde gerade aufgrund seines Blogs in letzter Instanz zu 1000 Peitschenhieben verurteilt), kann ich meine virtuellen mit Humor tragen. Und ab sofort gelobe ich wieder regelmäßige Beiträge.

1. Was war deine Motivation für deinen blog?
Ich dachte der Blog sei das einzige Medium welches mich zwingt einen Text fertig zu stellen und ihn dann zu veröffentlichen, ohne dass ihn jemand lesen muss. Ersteres hat geklappt, Letzteres nur teilweise.

2. Kannst du dir heute ein Leben ohne die Möglichkeiten des Internets noch vorstellen?
Ja, die spannende Frage ist aber, ob es in der Zukunft trotz Internet noch möglich sein wird zu leben.

3.Glaubst du an Seelenwanderung?
Wer einmal an einem Volkswandertag teilgenommen hat, der kann das nicht vermeiden.

4. Welchen Traum willst du unbedingt verwirklichen?
Ich muss leider zugeben, dass meine Top-Ten Liste ziemlich abgehakt ist. Aktuelle Träume alle verwirklicht. Falls aber ein Leser unter Traumstau leidet und mit dem Verwirklichen guter Träume nicht so richtig nachkommt, bin ich gerne bereit einzuspringen.

5. Lebst du in der Stadt oder auf dem Land?
Beides. Ich lebe in der nördlichsten Stadt Italiens, deren Bewohner demnächst zum Weltkulturerbe ernannt werden, und gleichzeitig auf dem Land, weil Köln das einzige Dorf mit Dom ist.

6. Wie stellst du dir dein Leben mit 70 vor?
Hommage an Udo Jürgens: Vier Jahre nach dem Anfang werde ich langsam reif genug sein für den Kindergarten. Und nie mehr in die Schule müssen.

7. Wenn du auf Reisen gehst: lieber ins Hotel oder zum Camping oder Ferienwohnung/Haus?
Ist das eine Fangfrage? Ohne mein Hilleberg Allak sage ich dazu nix!

8. Was ist dein Lieblingsbuch?
Oh je, jetzt wird es wirklich persönlich. Und obendrein noch schwierig. Da ich zur Beantwortung der nächsten Frage statt drei Worten nur ein einziges benötige, nehme ich mir hier drei Bücher:
TC Boyle, Grün ist die Hoffnung
C Zuckmayer, Als wär‘s ein Stück von mir
H Lee, Wer die Nachtigall stört

9. Wenn du dich mit drei Worten beschreiben müsstest, welche wären das?
Unbeschreiblich.

10. Wovon würdest du dich ungern trennen (bezogen auf Sachen)?
Das kommt darauf an. In der Oper sehr ungerne von meiner Kleidung; in der Badewanne dagegen ungern vom warmen Wasser. Im Zug nicht vom Billet, auf rasanter Talfahrt nicht vom Fahrrad und in Transsilvanien nicht vom Knoblauch.
Ach, die Frage hätte ich falsch verstanden. Es geht um dauerhafte Trennung, Sachen die nie mehr wiederkommen? Dann, ohne spezifische Reihenfolge: Riesling, Spargel, Apfelblüte.

11. Hast du eine schräge Angewohnheit?
Wer weiß welches Kloster in Deutschland eine Haiku-Treppe besitzt? Fünf Treppenstufen, Absatz, sieben Treppenstufen, Absatz, fünf Treppenstufen. Haiku eben. Kein Treppenwitz, sondern ein Treppengedicht. Ich habe davon gehört, dass es Menschen gibt, die Treppen steigen ohne dabei die Stufen zu zählen. Unvorstellbar für mich, aber auch dafür existieren inzwischen gute Selbsthilfegruppen.

Stilles Konzert

Zweihundert Badelatschen vor dem Eingang, Bastmatten auf dem Boden, bunte Tücher zwischen den Bäumen und hundert Rupien Eintrittsgeld: Die Szenerie beleuchtet mit den Ikea-Lampions die inzwischen auf der ganzen Welt für schummrig, stimmungsvolles Licht sorgen und mich immer an die selbstgebastelten Sparschweine aus Pappmaschee erinnern. Eine Konzertnacht in Goa.

Das Plakat verspricht ein „stilles Konzert“ und dieses Versprechen sollte eingehalten werden, mehr noch als ich mir vorstellen kann. Zu Beginn klingt noch eklektische Musik durch die Nachtluft, drei Musiker schaffen Sphärenklänge die sanft durch die Plamen rauschen. Die Besucher teilen sich in zwei Gruppen: Die eine Hälfte liegt auf dem Boden und trainiert für einen Ultramarathon im „Shavasana“; die andere sitzt im Schneidersitz, die Beine wie Holzblöcke vor dem Körper gestapelt. Dabei schwingen ihre Oberkörper und Arme so anmutig als gelte es den Palmblättern das richtige wiegen im Wind zu zeigen. Aus Rücksicht auf meine Muskeln und Respekt vor dem Anmut der Palmen schließe ich mich der Gruppe der Liegenden an.

Als ich nach wenigen Minuten all meine Körperteile mit der Bastmatte in bequemer Lage vereint habe, erstirbt die Musik. Offensichtlich waren die Sphärenklänge nur die Vorgruppe, der Hauptakt des Konzerts sollte noch kommen. Es folgt…Nichts, Stille unter den Palmen, gefolgt von… wieder Nichts! Aufdringlich dröhnt die Stille in meine Ohren, die immer hoffen von Musik erlöst zu werden. „Pause“ denke ich und beginne mich aufzurichten, aber der Rest der Konzertbesucher schaukelt weiter mit dem Oberkörper oder liegt erschlafft auf dem Rücken, also übe ich mich in Geduld. Die wird dann nach einiger Zeit belohnt, denn eine Stimme schmeichelt sich durch die Nachtluft. Sie gehört einer Frau die auf der Bühne sitzt und die Hände in die Luft hält als wollte sie sagen: „Ich könnte jetzt Musik spielen, mache ich aber nicht!“

Was sie wirklich sagt – oder besser gesagt, was sie in die Luft haucht – ist: „Willkommen zum stillen Konzert. Schön dass ihr da seid, wir wollen heute zusammen Nichts machen. Ihr habt jetzt die Freiheit nicht zu denken und nicht zu schlafen. Das einzige worum ich euch bitte ist nicht zu meditieren!“. Wie bitte? Gut, von Meditation verstehe ich nicht viel, aber hatte das nicht was damit zu tun frei von Gedanken zu sein? Nicht schlafen, nicht denken und nicht meditieren? Sie hätte auch sagen können: Spring ins Wasser, aber bitte mach dich dabei nicht nass!

Der einfachste Weg aus dem Dilemma wäre natürlich, das Konzert jetzt mit Musik fortzusetzen, aber das passt offensichtlich nicht in das Konzept des Abends. Es tröstet mich, dass ich nicht der Einzige bin der nicht so genau weiß was er tun soll. Offensichtlich sind auch die Musiker etwas unschlüssig. Jedenfalls beginnen sie in der anhaltenden Stille die Frau auf der Bühne zu umarmen. Das empfindet sie wiederum wohl als unfair gegenüber dem Publikum, und beginnt damit jeden Konzertbesucher zu umarmen. Die ultimative Goa-Variante des Stagediving nach dem Motto „Make Love not Music“.

Ich multipliziere die Anzahl der Besucher mit der Zeit die sie für eine Umarmung benötigt. Dabei habe ich kaum ein schlechtes Gewissen, denn wir sollten ja nicht denken, vom Rechnen hat niemand gesprochen. Eine gute Stunde wird das Ganze wohl noch dauern. Und dann kann ich bei aller Mühe doch nicht anders: Ich denke und zwar dass es an der Zeit ist für mich zu gehen!