Extremsport

Bungeejumping,  Skydiving oder Canyoning: alle diese adrenalinschwangeren Extremsportarten  wurden in Neuseeland erfunden. Kein Wunder, die Insel ist so klein und die Zerstreuung so rar, dass auch die absurdeste Idee irgendwann einmal ausprobiert werden muss. Überlebt der Probant, dann ist eine neue, noch extremere Sportart geboren.

Diesem Trend zum Extremen muss ich natürlich auch folgen und beschließe eine Runde Golf zu spielen. Nun gilt das Golfen nicht allen als ausgesprochener Extremsport, manchen noch nicht einmal als Sport, sondern bestenfalls als langatmiger Zeitvertreib der Wohlhabenden. Wer so denkt, hat allerdings noch nie in Kiwiland gegolft und bestimmt nicht in Takaka, einer Hippiesiedlung am Ufer des tasmanischen Meeres.

Als ich am Sonntagnachmittag auf dem Golfareal erscheine, sammelt eine Gruppe dieser Hippies -würdevoll ergraut – gerade am letzten Loch ihre Bälle ein. Mein Glück, denn so kann ich die fünfzehn Dollar Platzgebühr entrichten, die Leihschläger samt Transportkarre sind inklusive. Paul, der ehrenamtliche Platzwart schreibt meinen Namen in die dicke Vereinskladde: „Nur für den Fall dass Du dieses Jahr nochmal spielen willst, dann wirst du besser Mitglied im Golfclub, das kostet fünfundzwanzig im Jahr.“ Großzügig füllt er Golfbälle in meine Golftasche, „Der Wind und das Meer..“ murmelt er dabei, „Na, Du wirst es schon merken“.

Ich frage ob es denn lokale Regeln zu beachten gilt. „Nicht viele“, brummt Paul, „wenn Du ein Schaf triffst, darfst Du den Schlag wiederholen. Aber das ist eigentlich nur wichtig wenn die Tiere dickes Fell haben, da bleiben die Bälle drin hängen. Im Moment sind sie frisch geschoren, dann prallen sie gut ab. Wenn der Ball im Schafdung landet, darfst Du ihn versetzen, aber das ist nur wichtig wenn Du mit anderen spielst. Wirklich wichtig ist, das Du den Strom am Elektrozaun abschaltest bevor Du mit dem Schläger drankommst“. In der Tat ist jedes Grün rund um das Loch mit einem kleinen Weidezaun versehen, der dazu dient die vierbeinigen Gärtner aus diesem sensiblen Bereich fernzuhalten.

Frohgemut und unter interessierten Blicken ziehe ich zum Abschlag an Loch Eins. Der Druck von zwölf Augenpaaren in meinem Nacken ist offensichtlich hilfreich, denn wider Erwarten gelingt mir ein prächtiger Abschlag und der Ball fliegt in hohem Bogen genau in Richtung Fahne. Allerdings war der Bogen ein klein wenig zu hoch, so dass mein Ball erst hinter dem Ziel in einem Sandbunker zur Ruhe kommt, der geschickt aus den Dünen geformt ist.

Kein Problem, denke ich mir, denn genau für diese Fälle hält mein Leihset einen entsprechenden Spezialschläger bereit. Erneut gelingt es mir den Plan in die Tat umzusetzen: ein sanfter, steiler Lupfer hebt den Golfball über die Düne in Richtung Ziel. Was ich nicht beachtet habe: Die Lage am Meer mit antarktischen Sturmwinden. Eine Böe erfasst meinen Lupfer und zwingt den Ball dorthin zurück wo er herkam. Ich schaffe es gerade noch mich zu ducken und  schaue dann konsterniert auf meinen Golfball der zwei Meter hinter mir unschuldig im Sand liegt. Der zweite Versuch endet noch katastrophaler, diesmal kommt der Windstoß von der Landseite und die kleine weiße Kugel wird aufs Meer geblasen, ohne Tauchausrüstung ist sie nicht mehr zu erreichen. Irgendwann gebe ich auf und spiele flach um die Düne herum. Das erste Loch beende ich schließlich mit vierzehn Schlägen mehr und zwei Bällen weniger als geplant.

Nach vier weiteren Löchern finde ich langsam Gefallen an dem Kurs; der Wind, das Meer, die Schafe und selbst deren Exkremente schaffen einen besonderen Reiz. Auch schaffe ich es vor achtzehn Uhr das achte Loch zu beenden, danach schneidet die Flut diesen Zipfel des Platzes vom Land ab. Am Abschlag zu Loch Neun springen auf einmal die Schafe aufgeregt in alle Richtungen davon, ein buntbemalter VW-Bus hält genau auf mich zu.

Es ist Paul mit zweien seiner Freunde, sie drücken mir ein kaltes Bier in die Hand: „Wer bis hierhin kommt hat sich ein kaltes Bier verdient! Wir fahren jetzt nach Hause, stell die Schläger einfach in den Schuppen und wenn Du noch duschen willst: Das Clubhaus ist offen.“

Halbzeit

Immer wieder wird behauptet, es gäbe ihn gar nicht, DEN Deutschen, DEN Amerikaner oder gar DEN Holländer. Der Standpunkt mag ja politisch außerordentlich korrekt sein, aber dennoch ist er vollkommen falsch. Natürlich gibt es ihn, diesen typischen Vertreter einer jeden Nation. Sicher, seitdem Schuhe von Birkenstock in allen Länder dieser Erde verkauft werden, ist es nicht mehr ganz so einfach den Deutschen im Ausland zu erkennen. Aber auch wenn die Zeichen heute etwas subtiler geworden sind, eindeutig sind sie immer noch. Nach wie vor gilt: wer außerhalb seiner eigenen Wohnung Sandalen mit Socken trägt, der spricht auch Deutsch.
Viel spannender ist es allerdings die Nationalität eines Menschen zu bestimmen, wenn solche offensichtlichen Merkmale fehlen und einzig das Verhalten der Menschen eine Unterscheidung möglich macht. Doch wer sich ein wenig Mühe gibt, muss auch daran nicht scheitern. Zur Halbzeit unserer Reise lässt sich das leicht an den Ländern festmachen, die wir bisher besucht haben. So sind DIE Australier allesamt entspannt, freundlich und hilfsbereit; dagegen habe ich DIE Bewohner von Fiji als freundlich, hilfsbereit und entspannt erlebt. In Kanada trafen wir auf stets hilfsbereite Menschen-dabei entspannt und freundlich – und die Freundlichkeit DER US-Amerikaner ist ja bereits sprichwörtlich; entspannt und hilfsbereit waren sie obendrein.
Irgendwie lässt mich das Gefühl nicht los, dass meine Typisierung von Nationen auf unseren nächsten Reisestationen zu ähnlichen Ergebnissen führen wird. Auch die Neuseeländer, Inder und Nepali werden sich durch die gleichen Attribute auszeichnen. Meine Klassifizierung ist also ebenso einfach wie nutzlos. Doch woran scheitert es nun, mein bewährtes Modell?
Vielleicht findet sich die Ursache in der Geschichte, immerhin waren alle diese Länder – in der einen oder anderen Form – einmal Teil des britischen Königshauses. Aber so gerne ich auch anglophil denken möchte: es ergibt keinen Sinn. Würde Tee mit Milch oder Gurkenbrote mit abgeschnittener Rinde solche Eigenschaften hervorbringen, dann müsste sich bereits die ganze Welt davon ernähren.
Was sonst aber ist all diesen Nationen gemeinsam? Die einzige Übereinstimmung die bleibt, bin ich selbst, der Betrachter. Natürlich wird meine Anwesenheit kaum etwas bewirken, was selbst dem britischen Empire nicht gelungen ist. Aber vielleicht ist es ja wahr, das Sprichwort vom Wald aus dem das herauskommt, was man hineinruft. Auch wenn es im wörtlichen Sinn nicht stimmt – ich habe in etliche Urwälder geschrien und dabei höchstens Rehe aufgeweckt – dann doch im übertragenen.
Nach meiner Rückkehr werde ich es ausprobieren, dann müssten auch DIE Deutschen alle hilfsbereit und freundlich sein, zumindest solange ich selbst es schaffe entspannt zu bleiben. Bis dahin werde ich sie an den Sandalen mit Socken erkennen.

Neuschnee

Fünf Uhr morgens in Hobart, Tasmanien: Wir steigen in einen Kleinbus samt unverschämt gut gelauntem Fahrer. Unser Ziel ist der Overland-Trail im Zentrum der Insel. Es regnet so stark, dass der Scheibenwischer auch im schnellsten Gang nicht nachkommt, aber unser fröhlicher Fahrer beruhigt uns: „Wir fahren nach Norden, da wird es weniger regnen“. Und Recht hat er mit seiner Prognose, im Nationalpark ist es viel zu kalt für Regen, stattdessen fällt hier Schnee in dicken Flocken.
Der Schnee ist dann auch das zentrale Thema der Sicherheitsbelehrung durch die Parkranger, immerhin befänden wir uns mitten im stärksten Schneesturm des gesamten Winters. Kurz überlege ich einzuwerfen, dass der Winter doch seit mehr als zwei Monaten vorüber sei. Doch dann fällt mir der Werbeslogan ein, der überall auf den Prospekten prangt: „Tasmanien, erlebe vier Jahreszeiten an einem Tag“. Spontan beschließe ich zu schweigen.
In ernsten Worten erklärt uns der Parkwächter, dass wir auf dem Weg nach oben noch sehr viel mehr Schnee zu erwarten hätten und mit brusttiefen Schneeverwehungen rechnen müssten. Eine junge Australierin mit einem gigantischen Rucksack fragt dazwischen, was denn überhaupt eine Schneeverwehung sei?
Wahrscheinlich hätte auch sie besser spontan geschwiegen, aber Schnee besitzt in Australien durchaus Seltenheitswert. Auch mir fällt es schwer an brusthohe Schneewehen zu glauben. „Brusttief: vielleicht wenn ich mich auf den Boden lege“, so denke ich still, ein Gedanke der sich noch rächen sollte.
Gut eingepackt in alle Winterkleidung die wir besitzen machen wir uns schließlich auf den Weg, vielleicht klart es ja noch auf und dann sind wir schon oben auf dem Berg. Der Mensch ist ein Meister des positiven Gedankens. Bevor es aber aufklart, treffen wir noch auf das Zentrum des Sturms, Schnee fällt mal in großen, weichen Flocken und dann in kleinen, harten Körnern, knietief liegt er derweil am Boden. Zum Glück ist der Weg mit Stäben markiert, eine dieser Stangen ist meistens noch zu erkennen.
Nach ein paar Stunden treffen wir auf die Australierin mit dem Riesenrucksack, der offensichtlich nicht nur groß, sondern auch schwer ist. Mit jedem Schritt sinkt sie tief in den weichen Schnee. Die Schneewehen durchquert sie auf allen Vieren, Ganzkörperantwort der Natur auf eine unschuldige Frage. Aber auch mein Zweifel an wirklich tiefen Schneewehen wird schnell beantwortet. Nein, brusttief werden sie nicht, dafür ist es zu stürmisch. Aber die Sturmböen sind stark genug mich umzublasen, so dass auch ich meine Ganzkörpererfahrung mit dem Schnee machen darf.
Mit Sicherheit wird es aufklaren aber genauso sicher nicht am heutigen Tag, also stapfen wir weiter durch den Schneesturm, im Wechsel zwischen den verschiedensten Schneesorten. Die Hütte kommt in Sicht als wir mit der Nase gegen das Toilettenhaus stoßen. Nach sehr kurzer Beratung fällt die Entscheidung: Wir übernachten nicht im Zelt sondern in der trockenen Hütte, alleine schon weil wir keinerlei Schaufeln besitzen um die Zeltplattform auszugraben.
Am Ende des Tages ermittelt der Hüttenwart die Anzahl derjenigen, welche die Hütte erreicht haben. Auch wenn sich die Zählung etwas schwierig gestaltet – einige der Anwesenden starren nur noch apathisch vor sich hin, zu erschöpft um ihren Namen zu nennen – kommt er doch zu einem erfreulichen Ergebnis: zwanzig von zweiundzwanzig angemeldeten Wanderern sind angekommen. Dafür dass die meisten heute zum ersten Mal durch Schnee gelaufen sind, eine herausragende Quote.

AussieEnglisch

Die Sprache ist das Erste was auffällt in Australien, schon Englisch, irgendwie, aber eben doch eindeutig Australisch. Nicht immer ist sie zu verstehen, aber unterhaltsam ist sie allemal. Insbesondere der Abkürzungsfimmel mit dem langen „ie“ am Ende hat es mir angetan. Da kennt die Kreativität der „Aussies“ keine Grenzen. Vielleicht liegt es ja an der Größe des Landes, da geht es einfach nicht ohne Abkürzung.

Gebissen wird der Australier von „Mozzies“, gegen Regen trägt er einen „Brolli“ in der Hand und gegen die Sonne „Sunnies“ auf der Nase. Wenn das nicht reicht muss vielleicht auch noch etwas „Lippie“ aufgetragen werden. Mit „Barbie“ wird nicht etwa gespielt, sondern darauf gegrillt, gerne auch zu „Chrissie“ unter dem Weihnachtsbaum. Hier in der Wüste äußerst wichtig sind die “Eskis“, mit Eis gefüllten Boxen aus Styropor, in denen die „Tinnies“ (Bierdosen) lagern. Wer dagegen eine Wärmflasche benötigt, braucht einen „Hottie“.

Da unser Gepäck nicht angekommen ist, mussten wir „nikedie“ schwimmen, solange bis der „Postie“ unsere Rucksäcke brachte und wir wieder „Undies“ hatten. Wer dagegen eine Wärmflasche benötigt, braucht einen „Hottie“.

Zum Brekkie esse ich Bikkies, Blaumacher werden zu „Sikkies“, Maurer zu „Brikkies“ und an den Stränden tummeln sich die „Surfies“. Um wem gerade das richtige Wort, oder die entsprechende Aussie-Abkürzung, nicht einfällt der fragt einfach: „Kannst du mir eben das, das,… das „Thingie“ reichen.

Schlechte Laune

Es muss doch verdammt noch mal einen Grund geben sich zu ärgern? Irgendetwas worüber ich mich aufregen kann? Gute Laune ist ja schön und gut, sicher auch gesund und alles. Blutdruck schön niedrig, Cholesterin noch niedriger und Adrenalin quasi eine Nullnummer! Fein ist das, für ein paar Tage, ein paar Wochen, selbst ein paar Monate. Aber, der liebe Gott weiß schon weshalb er die Glückseligkeit für das Paradies reserviert hat. Hier auf Erden kommt der Zeitpunkt, da ist sie einfach nicht mehr zu ertragen.
Aber was willst Du machen, gegen diese Fröhlichkeit? Wenn der Himmel immer blau ist? Die Luft zum Schwitzen zu frisch und das Wasser zum Frieren zu warm! Der Wind immer wohlwollend, die Sonne mild und die Sterne hell? Alles gesund, gesättigt und gemütlich. Die einzige Entscheidung die mir abverlangt wird: Zuerst Buch lesen in der Hängematte und dann ein Strandspaziergang, oder doch besser umgekehrt? Ich könnte mich natürlich darüber ärgern, dass ich schnorcheln war ohne eine Schildkröte zu sehen. Die ganzen bunten Fische und Korallen haben den Blick verstellt. Aber so sehr ich mich auch bemühe, nichts ergibt einen Grund für schlechte Laune.
Bisher dachte ich, ein Grund wäre gar nicht nötig. Einfach mit dem falschen Bein zuerst aufstehen und wenn das nicht reicht einen Blick in die Zeitung werfen, schon kommst du schlecht drauf. Da besaß ich allerdings noch einen großen Vorrat an Gründen, irgendwann erlebt und für den rechten Moment in der Ecke meines Gehirns abgelegt die für schlechte Laune zuständig ist. Sie war nie überfüllt diese Ecke, aber mit etwas gutem Willen war dort immer etwas zu finden. Doch jetzt herrscht gähnende Leere, sauber aufgekehrt wie eine deutsche Werkstatt am Freitagnachmittag.
Solange die Nabelschnur Internet noch zwischen mir und dem Rest der Welt baumelte, waren die Nachrichten noch eine Hilfe; lieferten guten Nährboden für negative Schwingungen. Aber selbst das wird mit jedem Kilomater und jedem Tag Abstand schwieriger. Obendrein ist unser aktueller Außenposten nicht nur vom Internet abgeschnitten, auch andere Nachrichten oder Menschen finden selten den Weg hierher.
Die Umgebung kann mir auch nicht helfen, denn die Fijianer scheinen immer gut gelaunt. Aus allen Ecken schallt ihr Lachen und in jede Meeresbrise mischt sie ihr Gekicher. Für sie würde ich Gründe finden schlecht gelaunt zu sein, ihr Dorf wird gerade umgesiedelt. Weg vom Sandstrand auf einen nahegelegenen Hügel, eine ganz praktische Folge des Klimawandels. Trotzdem: um mich herum nur fröhliche Gesichter.
Für den Moment bin ich also zu guter Laune verdammt. Damit muss ich mich abfinden. Aber das Sabbatjahr dauert es ja nicht ewig. Die Realität wird mich schon noch rechtzeitig einholen, mitsamt ihrer schlechten Laune. Vielleicht kann sie mir dann aber auch gestohlen bleiben. Die schlechte Laune meine ich, nicht die Welt.

Nur Fliegen ist schöner

Zugegeben, der nationale Flughafen von Nadi ist nicht sonderlich groß, vergleichbar vielleicht mit dem Wartezimmer einer mittelgroßen deutschen Arztpraxis. Dennoch bin ich erstaunt am Check-In als „Herr Ackermann“ begrüßt zu werden, noch bevor ich meinen Ausweis aus der Tasche gekramt habe. Woher kennt der meinen Namen?
Danach verläuft der Check-In wie gewohnt: Ausweis vorzeigen, Gepäck auf die Waage, ein Aufkleber wandert auf den Rucksack und die Bordkarte in meine Hand. Während wir uns schon vom Schalter abwenden, werden wir freundlich aufgefordert noch persönlich auf die Gepäckwaage zu steigen auf der eben noch unsere Rucksäcke lagen. „Bitte mit dem Handgepäck, Sir. Wir wollen berechnen wieviel wir tanken müssen!“ Ganz ungalant wird mein persönliches Bruttogewicht auf der Bordkarte vermerkt und es bleibt nur zu hoffen, dass der einfache Dreisatz Standardwissen in Fiji’s Schulen ist.
Das Rätsel des bekannten Namens löst sich dann während wir in den Flieger einsteigen: die anderen beiden Passagiere hatten bereits vor uns eingecheckt!
Die kanadische Twin-Otter von Fiji Airways hat sechs Notausgänge, so erklärt uns der Kapitän. Das klingt sehr sicher, immerhin anderthalb Fluchtwege pro Passagier. Wenn ich mir allerdings die Dimensionen dieser Ausgänge und die des Passagiers in der Reihe hinter mir betrachte, dann wird klar, dass es während einer Evakuierung auch die eine oder andere Verstopfung geben könnte. Dafür macht dann ein alternativer Notausgang durchaus Sinn. Die Notausgänge müssen wir aber gar nicht strapazieren, dafür umso mehr unsere Augen und die Fenster, denn eine blaue Lagune erscheint nach der anderen, bevor wir keine Stunde später auf dem Flughafen in Kadavu landen.
Der Flughafen besteht aus einer Landebahn, welche für unser kleines Flugzeug mehr als ausreichend ist, einer kleinen Hütte an der wir zum Stehen kommen und einem Schild mit der Aufschrift „Airport Road“. Was ich nicht sehe ist eine Straße, geschweige denn ein Auto welches darauf wartet uns abzuholen. Doch bald kommt fröhlich grinsend Jobi auf uns zu, unser Chauffeur. Sein Gefährt liegt zwanzig Schritte von der Flughafenhütte entfernt am Strand, ein kleine Jolle mit Außenbordmotor.
Jedes große Ereignis wirft bekanntlich seine Warnungen voraus, ich hätte bereits stutzig werden sollen als Jobi unser Gepäck sehr ordentlich in eine wasserdichte Folie gewickelt hat. Sicher gibt es auch außerhalb Deutschlands Menschen die einfach nur der Ordnung halber ordentlich sind, die meisten jedoch handeln aus gutem Grund. Spätestens aber als Jobi ein zweites Brett unter unseren Hintern schob, hätte ich es erahnen müssen.
Vielleicht war ich zu sehr mit unserer neuen Mitreisenden beschäftigt, eine Deutsche die sich auch auf Weltreise begeben hat, aber nach einem Jahr nicht über Bali, ihre erste Station, hinausgekommen ist. Ausgerechnet der Salsa hat sie dort festgenagelt, inzwischen steht sie kurz davor die erste indonesische Salsa Schule zu eröffnen. Bis zum Dorf wird sie uns begleiten, auf dem Weg zu einer Hochzeit. Derart plaudernd habe ich sie einfach nicht erkannt, die offensichtlichen Zeichen.
Der Weg beginnt auch sehr bequem, das Boot durchquert eine blaue Lagune und ich gönne mir eine Handvoll Nüsse während die grünen Buchten an uns vorüberziehen, manche mit einzelnen Hütten gespickt aber alle voller Kokospalmen. Die zweite Handvoll Nüsse wird dann aber schon zum Fischfutter als meine Hand plötzlich in die Luft gerissen wird. Wir haben die erste Lagune verlassen und schaukeln mit unserer Nussschale in meterhohen Wellen. Das Land ist zwar zum Greifen nahe, aber nur dann zu erkennen wenn wir oben auf der Welle reiten. Reiten ist die passende Beschreibung und zwar eine dieser Rodeomaschinen im Westernsaloon. Kaum habe ich mich an eine bestimmte Wellenbewegung gewöhnt, dreht jemand das Meer um eine Stufe hoch.
Ich klammere mich an den Sitz, bis ich merke dass dieser nicht mit dem Boot verbunden ist. Sobald ein Wellenkamm überschritten ist, fällt das Boot nach unten, der Sitz und ich bleiben aber noch ein wenig auf dem höchsten Punkt, bevor wir dem Boot nach unten folgen nur um es im Wellental dann mit lautem Knall wieder zu treffen. Der Knall fällt allerdings kaum ins Gewicht, denn es quietscht und knarrt aus allen Richtungen, so wie Dinge quietschen und knarren kurz bevor sie zerbrechen. Der Außenbordmotor beschwert sich lautstark über die Behandlung und Jobi unser Bootsführer tippt eine SMS in sein Handy. Immerhin, so denke ich, hat er die Möglichkeit sich von seiner Familie zu verabschieden. Bali wird auch wohl ohne Salsaschule auskommen müssen, aber das Land wird es sicher überstehen. Unter solchen Gedanken versuche ich meinen Sitz, das Boot und mein Leben nicht kampflos abzugeben.
Vor uns signalisiert ein anderes Boot dass es Hilfe benötigt. Klarer Fall von „Mann über Bord“, ich strecke meinen Rücken gerade und versuche in der weißen Gischt nach der verlorenen Seele, oder besser noch ihrer irdischen Hülle. Wir legen an Steuerbord quer an und auch mir wird schnell klar, dass die fröhlich lachenden Fijianer keineswegs einen der Ihren an die Wellen verloren haben. Kein Passagier ist es der fehlt, sondern nur Benzin für den Motor. Wir helfen aus und reiten dann noch eine Bonusrunde Rodeo.
Ganz allmählich wird mir klar, warum es auf dieser Insel so wenig Tourismus gibt. Erst als wir unser Ziel zu meiner großen Überraschung doch wohlbehalten erreichen, kann ich langsam die positiven Seiten der Fahrt wahrnehmen: Sie hat mich an einige Dinge erinnert die in diesem Leben noch erledigt werden müssen, ich brauche keine Bücher über Nahtoderfahrungen mehr zu lesen und habe obendrein den Eintritt in das Phantasialand gespart.

Der Schlüssel zum Glück

Eine Frühstückspension in einer abgelegenen Ecke der Schweiz, eingenistet in ein jahrhundertealtes Bauernhaus. Selbstgemachter Käse füllt den Küchentisch in großen Laiben und die Luft mit würzigem Geruch. Das Bier kühlt im Brunnen vor der Haustür, der Weg zur Toilette führt über den Gang und das beständige Muhen der Kühe ersetzt den Ipod.
Aber auch hier hat die Moderne Einzug gehalten: seit neuestem sind die Zimmer im Internet zu buchen. So besuchen dann auch Menschen diesen Ort, die ohne elektronische Hilfe den Weg nicht gefunden hätten. Das bringt gegenseitige kulturelle Befruchtung mit sich, aber auch – wenn Sprache und Gedanken zu verschieden sind – die ein oder andere Hürde.
Das junge Pärchen aus Paris hat offensichtlich ein Problem, aber es kann sich nicht verständlich machen. Der Bauer ruft uns zur Hilfe, denn er will mit den ersten Gästen aus dem Internet keinesfalls etwas falsch machen. Schnell stellt sich heraus: Es ist alles in bester Ordnung. Weder der Weg zur Toilette noch die Kuhbeschallung ist ein Problem, allein einen Zimmerschlüssel vermissen die Gäste aus der Großstadt.
„Zimmerschlüssel?“ staunt der Bauer und kratzt sich nachdenklich mit dem Käsemesser am Kinn, „da kann ich jetzt auch nicht helfen. Das Haus steht seit sechshundert Jahren und bis heute hat noch nicht einmal die Haustür ein Schloss, geschweige denn die Zimmer“. Diese Zeitspanne überzeugt die Franzosen davon, dass ihnen auch ohne Türschloss in den nächsten Stunden keine unmittelbare Gefahr droht und alle können sich wieder ganz entspannt dem Käse widmen.
Mit jedem Tag den das Sabbatjahr näher rückt wird auch mein Schlüsselbund ein wenig schlanker. Zuerst darf der Büroschlüssel weichen, der Autoschlüssel folgt gleich nach und auch die kleineren Exemplare für den Keller und das Fahrrad sind schnell entbehrlich. Bis zum Abreisetag führt nur noch der Wohnungsschlüssel ein einsames Leben in meiner Hosentasche, aber zum guten Schluss muss auch er sich von mir trennen.
Sicher, auch Schlüssel und Schlösser haben ihre Berechtigung, jeder Radfahrer in Köln kann das bezeugen. Aber nach derweil drei Monaten ohne Schlüsselbund steht fest: Das schlüssellose Leben ist wie die Übernachtung auf dem Bauernhof; entspannt und erholsam. Also wünsche ich mir und dem Bauer, dass wir weiterhin das Privileg besitzen dürfen ohne Schlüssel zu leben. Wir werden nichts vermissen, zumindest nicht bis zur nächsten verschlossenen Tür.

Not all who wander are lost

Ninety days in the US & Canada, more than sixty of it in our beloved tent and over forty-five in the backcountry that we do love even more. We canoed over forty kilometers, hiked more than one-thousand and drove some more on the road. Saw six bighorn sheep, eight bears, ten moose, twelve eagles and countless deer, marmots and squirrels. And I am not even mentioning the mosquitos. Burned a heap of wood in campfires, gas in our stove and are still wondering if there are more stars in the sky or more trees in the woods? Now that our hiking boots are finished as much as our visa, it is time to try and wrap it up for you.

In Montana the saying is: “Camping without beer is just sitting in the woods”. By this standard we did have some camping, but mostly we have been sitting in the woods. Given the specifics of these woods however, this is perfectly fine. Between the California Sierra Nevada and Mt. Robson in Northern British Columbia we have covered some of the most scenic trails that North America has to offer, some of them have names and are well travelled, others did not only lack a name, but also other people. All of them created more pictures and memories than what our brain could take, let alone write it down here. So let’s make cognac out of the wine and boil it down to one-line:

High Sierra Trail, Sequoia, California: Where the nights are so clear and calm that millions of stars reflect in Lake Colby.

Desolation Wilderness, Lake Tahoe, California: Where we finally crossed the Rubicon, and came back to have lunch on the other side.

Winds River Range, Wyoming: Where the sky is big, but there are still enough mosquitos to fill it.

Teton Crest Trail, Grand Teton NP: Where we felt more alive than ever on “Deadmen’s Shelf”.

Yellowstone NP: Where we roamed with the buffalo through sulfur smoke.

West Coast Trail, Vancouver Islands: A “beach walk” where the whales did (almost) spout on our heads.

Murtle Lake, British Columbia, Canada: Where we gave our legs a break and learned that paddling down a river is easier than across a windy lake.

Mt. Robson, BC/Alberta Canada: Where we learned to never trust a Canadian when he calls a lake “warm” enough to swim in.

Glacier NP, Montana: Where the best huckleberries grow and a bear wanted to share lunch with us. We had to decline the offer however, he wasn’t bringing anything to the table…

In between the backcountry tours, we spend our time meeting some old friends and making new ones; scoring food that was never de-hydrated and using natural hot springs to get us re-hydrated. The only things we lost on the way were a water bottle and a few pounds. The amount of things we gained however are too many to list.

On the northernmost point of our loop, right on top of snowbird pass, we did meet a fellow hiker who is also in a one-year sabbatical. He summarized it properly by stating: “Everyone should be granted the opportunity for a sabbatical in the middle of their career, it is just good”. I could not agree more.

Now we are taking a little break from the discovery work in Fiji. The plan is to stay within hundred yards of the beach we are living on and not to use any other footwear, other than fins to snorkel.

Bula from Fiji

Geschäftliche Begegnung

Fast alles wird einfacher in der Wildnis. Aber eben auch nur fast alles, an manchen Stellen fehlen die Errungenschaften der modernen Zivilisation dann doch, zum Beispiel die Toilette. Ohne die Technik des Wasserklosetts ist ein großes Geschäft keineswegs einfach. Nicht umsonst steht in jedem amerikanischen Outdoorladen das einschlägige Standardwerk: „How to shit in the woods“, welches Technik und Ausrüstung für alle Arten von Wildnis detailreich erklärt.

Eine Million Moskitos die nur auf blanke, unbewegte Haut warten, erweitern den Gang zur Toilette gleichzeitig noch zu einem unfreiwilligen Blutspendetermin. Aber, die Natur fordert ihr Recht und so lasse ich meinen Rucksack am Wegrand zurück und schlage mich mit Papierrolle und einer kleinen Schaufel bewaffnet in die Büsche.

Während ich gerade meine tiefe Hocke perfektioniere und gleichzeitig versuche den Stechmücken Einhalt zu gebieten, höre ich ein Rascheln. Jemand oder etwas kommt genau auf mich zu. Es ist groß und selbst die Mücken verharren. Da es andere Menschen hier nicht gibt, bin ich mir sicher: es muss ein Bär sein. Die Frage ist nur noch welche Sorte, Braunbär oder Schwarzbär? Die eine Sorte sollte ich verjagen, bei der anderen mich totstellen. Für beides fühle ich mich gerade nicht optimal vorbereitet.

Mein Bärenspray ist immer greifbar am Hüftgurt des Rucksacks befestigt, der aber liegt hundert Meter entfernt am Weg. Die Plastikschaufel ist zwar etwas stabiler als die Version im Sandkasten deutscher Kindergärten, aber weit davon entfernt ein Bärenschreck zu sein. Und weglaufen wäre selbst dann eine schlechte Idee, wenn sich meine Hose an ihrem angestammten Platz befinden würde.

Schlagartig wird mir klar woher die englische Redewendung „Caught with your pants down“ stammt und das sie etwas ganz anderes bedeutet als das sprichwörtliche deutsche „die Hosen herunterlassen“. Manchmal ist Sprachunterricht sehr anschaulich. Mir will nur ein einziger Vorteil an meiner Lage einfallen: Niemand kann hinterher behaupten, ich hätte mir vor Angst in die Hosen gemacht!

Erstaunlich was ein Gehirn in wenigen Sekunden alles denken kann, denke ich noch. Derweil ist das Rascheln ganz nah. Ich hocke noch, die Schaufel in der linken Hand und die Papierrolle in der rechten, der Bär kommt direkt vor mir aus einem großen Busch hervor. Keine zwei Meter trennen mich von dem Tier, das ich jetzt erst sehen kann. Ein großes Geweih ist das erste was ich wahrnehme: Ein Hirsch! Und der ist wahrscheinlich selten in seinem Leben so erleichtert angelächelt worden. Er schaut mich an und ich verstehe auch ohne Worte was er mir mitteilen möchte: “Mach vorwärts, die Mücken zerstechen gerade deinen Hintern“.

Romantik

Jeder der auch nur den einen oder anderen Beitrag in diesem Blog gelesen hat, weiß: einen Hang zur Romantik hat er nicht dieser Autor. Was aber tun, wenn die Welt sich so romantisch präsentiert, dass sie anders nicht zu beschreiben ist? Einfach warten bis dieser kurze Moment der Perfektion vorüber ist, so lautet die beste Strategie und erst dann weiterschreiben. Das hat bisher immer funktioniert. Bisher!
Am besten sollte ich wohl vorne beginnen. Vorne ist hier eine Zufallsbekanntschaft auf dem Wanderweg. Diese endet, wie in den USA fast immer, in einem typischen Smalltalk. Die heißen Quellen in Sierraville legt sie uns mit viel Inbrunst an das Herz. Und da wir im Sabbatjahr die Zeit haben auf solche Hinweise spontan zu reagieren, zeigt der Smalltalk sofortige Wirkung: Wir ändern kurzerhand die Reiserichtung und tauchen ein in die heißen Quellen.
Und damit beginnt dann das Dilemma mit der Romantik, denn nun sitze ich kurz nach Sonnenuntergang im warmen Becken des Meditationspools. Das Wasser hat eine Temperatur die ich so wahrscheinlich zum letzten Mal vor meiner Geburt erleben durfte. Unmöglich ist es darin zu frieren aber ebenso unmöglich zu schwitzen.
Warme Dunkelheit breitet sich um mich aus und schafft Raum für tiefe Stille, nur unterbrochen vom leisen Gesang des Waldes. Mächtige Pinien strecken ihre Silhouetten in den glitzernden Sternenhimmel. Gemächlich fliegt eine Sternschnuppe in hellem Strahl direkt auf mich zu und scheint erst vor mir im Wasser zu erlöschen. Gleich darauf leuchtet eine zweite mitten durch den großen Wagen. „Wenn jetzt noch eine dritte kommt, dann wird es langsam kitschig“, denke ich mir.
Und dann? Kommt keine Sternschnuppe mehr. Unschuldig strahlen die Sterne weiter um die Wette. Groß steigt der Mond über die Baumspitzen und hüllt alle in sein sanftes Licht. Irgendwann muss ich es zugeben: Manche Momente sind einfach … romantisch!