Der Wahlkampf von Donald Trump lebt von der schweigenden Mehrheit. Damit genau das nicht funktioniert, werde auch ich mich vom Schweigen trennen und ausnahmsweise in diesem Blog politisch. Warum stammen nahezu alle amerikanischen Präsidenten aus den Familien Kennedy, Bush oder Clinton? Selbstverständlich gibt es auf diese Frage keine vernünftige Antwort. Aber es existiert eine logische Konsequenz und die lautet: Das sollte mal einer ändern, oder es zumindest versuchen. Aber warum in aller Welt ausgerechnet Donald Trump?
Ich verstehe ja, dass eine Bewerbung ein gewisses Eigenkapital erfordert, aber dennoch sollte es unter vierhundert Millionen Amerikanern doch eine andere Wahl geben? Gut, die Randbedingung in den USA geboren zu sein reduziert das Potential. Aber selbst wenn wir Arnold Schwarzenegger und die Immigranten der ersten Generation abziehen, bleiben noch eine Menge Amerikaner übrig. Da aber entgegen aller Wahrscheinlichkeit ein Herr Trump kandidiert und dabei auch noch entgegen aller Logik in den Vorwahlen echte Wählerstimmen erhält, komme auch ich nicht daran vorbei. Ich muss ihn betrachten, oder genauer gesagt die Website seiner Kampagne, auf den Anblick der Person kann ich gut verzichten und dabei bin ich bei Frisuren keineswegs empfindlich.
Nachdem ich bestätige, kein Roboter zu sein, darf ich auch schon rein, in die wundersame Welt des Kandidaten. Im Wesentlichen besteht der Auftritt aus drei Anliegen: Unterstützer zu werben, Spenden zu sammeln und Werbeartikel verkaufen. Alles drei ist bei mir vergebliche Liebesmühe.
Eine einzelner Link auf der Website ist aber auch dem politischen Inhalt, der Mission des Kandidaten, gewidmet und breitet seine Positionen aus. Sonderlich breit ist das Spektrum allerdings nicht, dafür geht es aber auch nicht tief. Ganze fünf Kernaussagen in kleine Kisten verpackt genügen, um die Zukunft der USA so rosarot zu färben, wie sie zuletzt Janis Joplin 1969 auf einer Wiese in Woodstock erschien. Früher in der Schule nannten wir so etwas den „Mut zur Lücke“; das kann funktionieren, muss es aber nicht.
Die größte der Kisten beschäftigt sich mit dem zweiten Anhang zur Verfassung, dem „Grundrecht“ Waffen zu tragen. Ein strategisch durchaus sinnvoller Plan, denn aus eigener Erfahrung weiß ich, dass die Liebe zur Waffe in den USA eine ganz eigene ist. Für uns so unbegreiflich wie dem Japaner die deutsche Vorliebe für Schweinshaxe mit Sauerkraut. Allerdings – bei allem Respekt vor den gesundheitsschädigenden Folgen von Schweinefleisch – eine Liebe, die deutlich gefährlicher ist.
Selbst die Amerikaner, die heute noch gefühlt zwischen Lederstrumpf und rauchenden Colts gen Westen ziehen, finden hier noch die ein oder andere Überraschung. Der Staat möge doch Führerscheine regulieren, aber nicht das verdeckte Tragen von Waffen zum Beispiel.
Die nächste Überraschung erlebe ich in der Kiste zu Gesundheitsreform. Herr Trump schlägt etwas vor, was sich nur als Obama-Care auf Drogen bezeichnen lässt. Kostenlose Krankenversicherung für alle, mit freier Arztwahl und das nicht nur für körperliche, sondern auch für seelische Gebrechen … einziger Schönheitsfehler: Das Ganze soll nur für Kriegsveteranen gelten.
Danach ist dann aber auch Schluss mit Überraschungen, die drei letzten Kisten sind vorhersagbar: Donalds Verhandlungsstärke wird die Chinesen in die Schranken weisen und ihre Fabriken mitsamt Arbeitsplätzen wieder in die Staaten führen. Die Steuerklärungen werden demnächst auf einen Bierdeckel passen, wobei natürlich ein jeder weniger bezahlen muss. Schließlich wird das perfekte Amerika durch eine undurchlässige Mauer entlang der Grenze zu Mexiko abgerundet.
Diese Mauer sollen die Mexikaner übrigens selbst bezahlen, ein Gedanke, der gar nicht so abwegig ist, aus Eigenschutz. Sobald die wohlversorgten Veteranen mit halbautomatischen Waffen in Horden durch Texas ziehen, wird die Mauer für Mexiko quasi unvermeidlich.
Der Teil in dem alle weniger Steuern bezahlen am Ende aber mehr Einnahmen entstehen ist etwas nebulös. Der angegliederte Onlineshop liefert aber einen Hinweis, wie es funktionieren könnte. Dort ist einer der meistverkauften Artikel das „Team Trump“-Paket, eine bunte Sammlung von Ansteckern, T-Shirts und Mützen die es erlauben für Trump zu trompeten. Für zwei Personen kostet der Spaß achtzig Dollar, für sechs Personen dreihundertfünfunddreißig, mehr als viermal so viel. So rechnet ein echter Geschäftsmann.
Also bleibt am Ende nur zu hoffen, dass die Legende doch stimmt, nach der die USA das demokratischste Land der Erde ist. So demokratisch, das selbst ein Donald Trump kandidieren kann. Aber eben auch nur das.
(Dieser Artikel darf von allen Parteien in den USA unentgeltlich zu Wahlkampfzwecken verwendet werden)
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Kulturexport
Mein Schreiben soll nicht die Welt verändern! Zumeist ist das eigene Vergnügen daran genügender Antrieb. Heute jedoch kann ich nicht anders, als einen Aufruf zu starten, der hoffentlich weltweite Wirkung zeitigt, trotzdem es – wie immer – um eine kleine Geschichte von kleinen Dingen geht.
Welche kulturelle Leistung der Deutschen wird im Ausland sträflich vernachlässigt? Nein, ich rede nicht vom Oktoberfest, das wird in nahezu jedem Land der Erde häufiger gefeiert als in München. Auch die großen Dichter und Denker sind außerhalb unserer Heimat oft präsenter. Viele Deutsche müssen sich auf dem Theaterplatz in Weimar von einem japanischen Touristen erklären lassen, dass es sich bei den beiden Männern des Denkmals nicht um die Gebrüder Grimm handelt. Auch deutsche Ingenieurskunst ist weltweit bekannt und selbst dunkles Körnerbrot duftet im Siegeszug rund um den Globus. Allein einer Errungenschaft unserer Kultur bleibt die globale Anerkennung bisher verwehrt: dem Eierbecher.
Mancher mag seine besondere Bedeutung noch gar nicht erkannt haben, aber wir wissen Wichtiges ja erst dann zu schätzen, wenn es nicht mehr vorhanden ist: Licht, Freunde, Toilettenpapier. So ergeht es auch dem Eierbecher. Wer ihn nie vermisst hat, der ist noch nicht verreist. In Österreich ist er zuweilen noch zu finden, aber spätestens, wenn in der Schweiz die deutsche Sprache verschwindet, verabschiedet sich auch der Becher; gruß- und ersatzlos. Und auf jeder Reise, in jedem Land falle ich wieder darauf herein. Die Frühstückseier wandern in das kochende Wasser und genau fünf Minuten später bricht Panik aus.
Die Ferienwohnung oder Hostelküche ist mit jeden nur erdenklichen Komfort versehen, allein es fehlen die Eierbecher. Startschuss für die hektische Suche nach einem Ersatz. In Spanien finde ich dann meist ein etwas zu klein geratenes Weinglas und in Italien muss eine Espressotasse herhalten. Die Rettung in Frankreich erschien mir schon in Gestalt eines Schneckentellers, zum Glück sind dort ja auch Wachteleier weit verbreitet. Da in den USA bekanntlich alles größer ist, greife ich zur Muffinform.
Ansonsten ist guter Rat teuer, oft bleibt nur der Griff zur bereits erwähnten deutschen Ingenieurskunst. Aus Hotelservietten lässt sich mit etwas Geschick ein recht stabiles Papierschiffchen falten. Und das Ganze, während ich das abgeschreckte Ei auf einem Löffel balanziere. Eine wacklige Geschichte und ein mehr als dürftiger Ersatz. Obendrein wird die Freude am weichen Ei mit ziemlicher Sicherheit von reichlich Kleckerei begleitet werden.
Warum das Verbreitungsgebiet der Becher so begrenzt ist, habe ich nie verstanden. Aber zum Glück existieren inzwischen die sozialen Netzwerke und präsentieren uns die offensichtliche Lösung. Kein Vermieter und kein Hotelier auf dieser Welt, der ohne hervorragende Bewertungen auf diesen Netzwerken noch mit Gästen rechnen kann.
Wenn wir gemeinsam arbeiten und jeden fehlenden Becher konsequent mit Punktabzug bei booking.com und Tripadvisor abstrafen, dann wird sich die Welt unseren Wünschen nicht lange entziehen können. Zunächst werden Quartiere ohne Eierbecher aus dem Internet verschwinden und wenig später aus unserem Leben, denn dem Hotelier ohne Eierbecher stehen nur zwei Wege offen. Der Weg in die Insolvenz oder der in die Haushaltswarenabteilung. Falls es aber auch dort keine Becher zu kaufen gibt? Dafür wurde der Versandhandel erfunden und die Internetseite http://www.eierbecher.de ist noch verfügbar.
Eifelkloster
Nur übernachten möchte ich in diesem Kloster, bestenfalls noch Frühstücken, falls ich denn früh aufwachen sollte. Keinesfalls jedoch hier zu Abend essen. Direkt nebenan ruft ein Eifeler Landgasthaus mit bester Küche, mein Sinnen steht nach Wildbraten und Rotweinsoße. Das ist aber der Versuch die Rechnung ohne den Wirt zu machen, genauer gesagt ohne Schwester Maria Antonie. Seit fünfzig Jahren begleitet sie die Klostergäste zu ihren Zimmern. Und offensichtlich freut sie sich auch heute über jeden Gast genauso wie in der Zeit, als ich noch nicht einmal in den Träumen meiner Eltern existierte.
Anstatt direkt zur Klosterzelle, führt sie mich in die hinterste Ecke der Klostergebäude, eine enge Steige hinauf und durch eine Tür mit dem Schild „Nur im Brandfall öffnen“. Der Grund: Die Sonne geht unter und von der freischwebenden Feuertreppe lässt sich das Schauspiel in Pastelltönen am besten erspähen. Das Wackeln der Treppe gleicht den wackligen Gang der alten Nonne perfekt aus, nur ich komme beinahe ins Straucheln. Glücklicherweise verlaufen die Sonnenuntergänge in der herbstlichen Eifel recht zügig, denn selbst, solange die Sonne scheint, bleiben die Temperaturen hier einstellig. Ich bin zwar angemessen bekleidet, aber nur für das Beziehen eines Zimmers, nicht für Exkursionen.
Wie das jetzt mit dem Wildbraten zusammenhängt? Schwester Maria Antonia leitet mich auf dem Rückweg am Refektorium vorbei, und vergisst dabei nicht auf das leckere Klosteressen hinzuweisen. Einmal durchgefroren schwindet in mir jegliche Motivation das heimelige Kloster heute noch zu verlassen und ich entscheide für den heimischen Herd. Allerdings missachte ich den dringlichsten Ratschlag meiner Begrüßungsnonne. Eindrücklich hatte sie darauf hingewiesen am Anfang der Essenszeiten aufzutauchen, denn, so ihre Worte, „das Warme ist früh am Leckersten“.
Sicher ein weiser Rat, doch was nützt das beste Abendessen, wenn es nicht Abend ist. Also erscheine ich als einer der Letzten im Saal, hohe Stapel benutzter Teller auf dem Geschirrwagen zeigen an, dass hier die sprichwörtliche Ruhe nach dem Sturm herrscht. Und ein solcher ist offensichtlich durch den Speisesaal gezogen. Bestand die achte Plage im alten Ägypten aus Heuschrecken oder Firmungskindern?
Ein wenig nervös, weil ich den eindringlichen Rat der Nonne ignoriere, bewege ich mich in Richtung Büffet. Aber ein Blick auf das Essen zeigt mir an, dass ich heute ungestraft davonkomme; der Junge in mir wird satt und glücklich das Refektorium verlassen. Die Tische biegen sich unter Essensbergen und die warmen Speisen bestehen aus heißen Würstchen, lauwarmen Kartoffelsalat mit Speck und selbst gebratenen Frikadellen. Nichts was durch ein Stündchen warmhalten an Geschmack verliert. Daneben Blutwurst, Schinken und Sülze im schweigenden Wetteifer um den höchsten Stapel. Erkenntnis des Tages: Fleisch ist keinesfalls krebserregend, sonst wäre die Eifel längst entvölkert.
Hinter dem Tresen treffe ich wieder auf Schwester Maria Antonia, welche großzügig die Teller der Gäste auffüllt. Der Mann vor mir fragt höflich an, ob die Frikadellen denn aus Fleisch bestünden. „Selbstverständlich!“, antwortet die Nonne. „Und auch selbstgemacht, nicht gekauft?“ Diesmal zögert sie eine kleine Sekunde, bevor sie die gleiche Antwort wiederholt: „Selbstverständlich!“. Der Herr zieht mit zufriedenem Ausdruck und beladenem Tablett weiter und ich rücke nach. Schwester Maria Antonia schaut ihm für einen Moment ungläubig hinterher, wobei ich mir unsicher bin, ob eine Ordensfrau ungläubig schauen kann. Dann sammelt sie sich wieder und richtet ihr nachdenkliches Lächeln zu mir. Kaum merklich schüttelt sie den Kopf als sie mich fragt:
„Gibt es Fleischklöpse inzwischen im Supermarkt?“
„Ich denke schon“, antworte ich, „aber ich glaube die kauft keiner“.
Land und Leben
(Erschienen in der eXperimenta 07/2015)
„Setze dich nie zu fremden Männern an den Tisch“. Die Warnung ihrer Großmutter noch im Ohr, versuchte sie genau das Gegenteil. Jene Großmutter hatte aber auch nie in einer Strandbar auf Fiji gesessen und gelernt, dass auf dieser Insel die Regeln der deutschen Kleinstadt nichts gelten. Hier ist eine unbegleitete Frau eine Einladung, so anziehend wie Kerzenlicht für Motten. Ein Beachboy nach dem anderen würde um sie schwärmen, und ihr Abend damit gefüllt, Hoffnungen zu enttäuschen.
Wenn schon Gesellschaft, dann besser eine Selbstgewählte. Also hatte sie das Mantra der Oma in den Wind geschlagen und ihn gefragt, ob der Platz an seinem Tisch frei sei? Ohne jeden Zweifel eine glückliche Wahl, denn er war offensichtlich beschäftigt, hatte nur kurz sein Einverständnis vage in die Luft genickt und sich prompt wieder abgewandt.
Vor ihm stand eine halbgefüllte Schnapsflasche, daneben ein einfaches Glas, aus dem er in regelmäßigen Abständen trank, in langsamen dafür großzügigen Schlucken. Verschanzt hinter ihrem Buch, vermochte sie nicht zu lesen.
„Mein Sohn heiratet heute hier.“
Sein Blick hatte sie kurz gestreift, während er sprach, aber jetzt waren die blauen Augen wieder auf das Meer gerichtet und nur das Rauschen der Brandung verhinderte völlige Stille zwischen ihnen. Sie war sicher, er hatte mit einmal Hinschauen mehr über sie erfahren, als andere in einer ganzen Nacht.
„Warum feierst Du dann nicht mit ihm?“, fragte sie, als die Wellen pausierten.
Er drehte sich zu ihr, die Augen diesmal eher nachdenklich als forschend. Sie glaubte seinen Gedanken auf seiner Stirn zu lesen: „Wie viel soll ich ihr zumuten?“ so stand dort geschrieben.
„Weshalb sitzt Du hier?“, fragte er zurück, ohne auf ihre Frage zu beachten.
Offensichtlich musste sie sich das Vertrauen für seine Antwort erst erarbeiten. Das ist unfair, dachte sie, genau so wie das Leben. Aber ihre Neugier war geweckt.
Also erzählte sie ihm von dem Leben, das sie verlassen hatte, ihrem Arbeitsplatz am Frankfurter Flughafen. Von der Kiste in der sie ihre Arbeitstage verbracht hatte, hinter kugelsicheren Glasscheiben. Von den Menschen die vor den Glasscheiben standen, ihren Papieren und den Gesichtern voller Hoffnung. Der Hoffnung, dass sie die richtigen Stempel auf ihre Papiere drücken und ihnen die Tür öffnen könnte zu einem Leben, das diesen Namen verdient, einem Leben in Deutschland.
Sie erzählte auch, wie sie die Hoffnung weggewischt hatte aus diesen Gesichtern. Den Stempel verweigert, den Eintritt verwehrt; das getan, wofür ihr Land sie bezahlte: nur diejenigen hereinlassen die hineingehören. Auch dass sie es vielleicht hätte ertragen können, wenn ihr Freund sie verstanden hätte. Der arbeite wie sie für den Zoll und sein Tag bestand auch daraus hoffende Gesichter in verzweifelte Gesichter zu verwandeln. Aber er wollte nicht verstehen, nicht nach Gründen fragen. Zu tun was ihm aufgetragen wurde war ihm genug, gab ihm Sicherheit. „Sie werden es schon wissen, was richtig ist“, so endeten ihre Diskussionen immer öfter. Er war der Spiegel an dem sie erkannt hatte, was sie selbst nicht sein konnte, nicht sein wollte. Sie musste aufhören Hoffnung aus Gesichtern zu wischen. Deswegen sie hier, hatte ihren sicheren Beamtenstatus aufgegeben und den Freund obendrein.
Wieder langes Schweigen, dann lächelte er, zum ersten Mal. Es wirkte etwas ungelenk, so als hätte er fast schon vergessen, welche Muskeln er benutzen musste.
„Dann können wir ja jetzt etwas Vernünftiges trinken!“, stellte er fest.
Sie nickte mit dem Kopf in Richtung Schnapsflasche:
„Das ist nicht vernünftig?“
Sein Lächeln wurde langsam entspannter, wortlos füllte er das Glas und schob es über den Tisch zu ihr. Vorsichtig nippte sie daran:
„Wasser?“.
„Ich trinke nie alleine, immer nur in Gesellschaft. Aber gute Gesellschaft erfordert ein gutes Getränk“.
Damit stand er auf und verschwand zwischen den Palmen.
Als er zurückkam, trug er zwei Gläser in der einen Hand und eine Flasche Rotwein in der anderen. Sie hatte sich in den letzten Wochen an Plastikbecher gewöhnt, das Glas lag schwer und angenehm kühl in ihrer Hand. Und nach dem ersten Schluck wusste sie, auch der Wein war weit entfernt von dem was sie gewohnt war.
„Das Leben ist zu kurz für schlechten Wein“, sagte er, „schmeckt er Dir?“
Inzwischen hatte sie ebenfalls keine Lust mehr Fragen zu beantworten, zumindest nicht alle. Wenn er sich die Antworten aussuchen konnte, dann konnte sie das auch.
„Also warum feierst Du nicht Hochzeit? Ist er der verlorene Sohn oder hat er sein Herz an die falsche Frau verschenkt?“
Sie wusste, dass Worte wie Messer wirken können, doch so deutlich hatte sie es bisher noch nie gesehen. Sein Oberkörper sackte zusammen, das eben wiedergefundene Lächeln wich einer verletzten Trauer.
„Entschuldigung, ….“, begann sie zu stammeln aber seine Hand wischte den Satz weg, bevor sie ihn zu Ende denken konnte. Wieder Schweigen, dann hob er sein Glas:
„Der stammt von der Hochzeitsfeier“.
Ohne nachzudenken, tat sie es ihm gleich, fand seine Augen und dann ließen sie beide den teuren Wein das tun, was er am besten kann: Wunden betäuben.
Als das Glas leer in seiner Hand lag, sah sie: Er hatte einen Entschluss gefasst, den Entschluss ihr zu vertrauen:
„Dich jagten sie auf die Menschen, für die es in deinem Land keinen Platz gab. Ich habe mich um diejenigen gekümmert, für die sie auf der Welt keinen Platz mehr hatten. Spezialeinheit der Sicherheitspolizei. Im Ausland aktiv und offiziell nicht vorhanden.
Ich war dafür zuständig die Verzweiflung aus ihren Gesichtern zu wischen, endgültig.
Natürlich waren sie alle Schurken, zumindest in den Augen meines Landes, oder sollte ich lieber sagen in den Augen der jeweiligen Regierung. Manchmal hat die ihre Meinung geändert, meistens nach einer Wahl. Wenn die Regierung neue Augen hatte, wurde über Nacht aus dem Terroristen ein Freiheitskämpfer. Aber nicht wenn sie uns vorher losgeschickt hatten, unsere Arbeit war endgültig, bestenfalls die Inschrift auf dem Grabstein war noch zu ändern. Dienst am Vaterland, am Anfang habe ich wirklich daran geglaubt. Danach weitergemacht, weil es das einzige war was ich konnte.“
Er sprach ganz ruhig, allein die feinen Haare auf seinen Armen sträubten sich gegen das was er sagte. Sie füllte sein Glas und blickte auffordernd auf seinen Mund. Er trank einen Schluck, diesmal ohne sie zu beachten. Sein Blick ging über sie hinweg und verlor sich in den Wipfeln der Palmen. Ein warmer Wind strich zwischen ihnen hindurch, einen Moment glaubte sie den Regen zu hören auf den die Einheimischen schon seit Monaten warteten, aber es war nur das Rascheln der trockenen Palmblätter. Der Windstoß schien sein Reden anzufachen, er sprach jetzt schneller, fast als wollte er es hinter sich bringen:
„Ich habe solange weitergemacht bis auch die letzte Chance vorbei war aus eigenem Entschluss aufzuhören. Zumindest so viel Anstand hätte ich zeigen können. Stattdessen war ich irgendwann überflüssig, so wie die Fabrikarbeiter am Band wurden wir von Maschinen abgelöst. Keine Regierung die etwas auf sich hält schickt heute noch Menschen um andere Menschen auszuschalten. Heute fliegen automatische Drohnen auf ein anonymes Kommando in die dunklen Ecken dieser Welt.
Vielleicht nicht billiger, auch nicht besser, aber schnell und emotionslos. Ich war auf einmal überflüssig. Also wurde ich in den Ruhestand geschickt, mit einer neuen Identität und einer Pension die gerade hoch genug ist, um mein Schweigen zu erkaufen. Ich habe es nachgerechnet. Solange ich noch lebe bezahlt mir der Staat in jeden Monat genau sechsundvierzig Euro für jeden der Staatsfeinde die dank meiner Arbeit nicht mehr leben. Vorausgesetzt ich halte den Mund und lösche mein bisheriges Leben.“
Seine Augen fanden den Weg von den Palmen zurück zu ihr und zum ersten Mal klang seine Stimme zynisch: „das Land für dessen Freiheit ich gekämpft habe darf ich auch nicht mehr betreten“. Ganz langsam begann sie den Zusammenhang mit ihrer Frage zu verstehen:
„Die Hochzeit und Dein Sohn gehören beide zu der vergessenen Vergangenheit?“
Jetzt schwang ein wenig Stolz in seiner Stimme:
„Er weiß nicht, dass ich noch lebe, alles, was ihm jemals erklärt wurde, war das ein afrikanischer Virus mich in das Jenseits beförderte, noch vor seiner Geburt. Und sollte er jemals auf die Idee kommen nachzuforschen, dann würde er in den Unterlagen einer kleinen Klinik im Norden Namibias auch die Beweise dafür finden. Bis hin zu einem schönen Stein auf dem örtlichen Friedhof. Ohne die kleinste Ungereimtheit, ich habe mich persönlich vor Ort darum gekümmert.
Aber ich kann ihn nicht vergessen und kenne noch ein paar Leute zuhause die ihn für mich im Auge behalten. Dass er sich entschlossen hat hier zu heiraten war meine Chance. Ich habe einen Kellner dafür bezahlt, dass ich ihn vertreten durfte. Zwei Stunden lang, länger konnte ich es nicht aushalten.“
Die Beichte hatte ihn Überwindung gekostet und dem Chateau Noeuf den Inhalt. Erschöpft schlug er vor einen Strandspaziergang zu machen. Vor einer Stunde hatte sie überlegt, ob es ratsam sei, sich in der Dämmerung zu einem Fremden an den Tisch im Restaurant zu setzen. Inzwischen wusste sie, dass dieser Fremde zahlreiche Menschen umgebracht hatte und die Dämmerung war zur Dunkelheit geworden. Dennoch stimmte sie der Idee sofort zu, auch wenn sie wusste, dass ihre Großmutter diesem Schritt ihren Segen verweigert hätte. Seiner Geschichte aber fehlte noch das Ende und dieses Ende musste sie hören.
Schweigend spazierten sie durch den Sand, hunderte von kleinen Krebsen verschwanden vor ihren Füßen, nur um direkt hinter ihnen wieder aufzutauchen und mit dem fortzufahren, was kleine Krebse nachts am Strand umtreibt. Der Wind hatte aufgefrischt und trocknete den Schweiß auf ihrer Haut, zum ersten Mal seit dem Morgen schien die Luft kühler zu sein als ihr Körper. So viele Fragen drängten sich in ihrem Kopf, dass sie nicht wusste, womit sie anfangen sollte. Aber ihre Fragen waren auch nicht erforderlich. Als wäre ein Damm gebrochen, sprach er von sich aus weiter:
„Sie haben mich auf der Schule gefunden. Gute Noten, gut im Sport und kein Geld für ein Studium. Das waren die Auswahlkriterien. Dann ein Stipendium für die Militärakademie, Sprachen und Logistik. Dazu ein Mentor der dir Aufmerksamkeit schenkt und Anerkennung. Es hat nicht lange gedauert, bis ich ihm alles geglaubt habe, das Töten von ihm lernte, mit der Hingabe und dem Ehrgeiz eines Zwanzigjährigen. Ich wollte gut sein für dieses Land, das gut war zu mir. So bin ich einer der Besten geworden.“
„Sprachen verstehe ich, aber warum Logistik?“
Sie wusste auch nicht, warum sie ausgerechnet diese Frage stellte, wo doch viel größere in ihr brodelten.
„Ein Logistiker ist leicht zu verstecken, er wird überall gebraucht, aber niemand nimmt ihn wahr. Also konnte ich überall sein, Pakete und Päckchen erhalten, ohne dass sich jemand um den Inhalt kümmert und – wenn nötig – jederzeit verschwinden. Es ist die perfekte Tarnung.“
Inzwischen hatten sie das Ende des Strandes erreicht, der weiche Sand war kleinen Kieseln gewichen und vor ihnen reckten sich schwarze Felsnasen in den Nachthimmel. Er setze sich auf einen Baumstamm und atmete tief durch. Kaum hatte sie neben ihm Platz genommen, sprach er hastig weiter, so als rechnete er damit, unterbrochen zu werden. Aber bis auf die Krebse war niemand dort, der sie hätte stören können.
„Ahmed hätte mir die Augen öffnen müssen. Natürlich trug er einen anderen Namen, als sie ihn zu meinem Ziel machten. Ich sah sein Bild und wusste sofort: das ist Ahmed. In diesem Geschäft kannst Du es Dir nicht leisten ein Gesicht zu verwechseln, denn der Fehler lässt sich nicht wieder gutmachen. Ahmed hatte ich vor fünfzehn Jahren zum letzten Mal gesehen, damals ein Junge, inzwischen ein Mann. Ein Gefährlicher obendrein, einer der über Leichen geht.
Bei unserer ersten Begegnung in Bagdad arbeitete er als Teejunge in Hotel. Aufgeweckt und genauso alt wie mein Sohn. Ich hatte Zeit, musste auf die Ankunft des Mannes warten den ich erschießen sollte. Die Wartezeit habe ich mit Ahmed verbracht. Nach zwei Tagen hatte ich mit Ahmed mehr gesprochen, als ich mit meinem eigenen Sohn jemals reden werde, hatte ihm beigebracht zu rechnen und seinen Namen zu schreiben. Dann habe ich meinen Auftrag erledigt und bin abgereist. Jetzt war aus dem wissbegierigen Jungen ein Terrorist geworden. Ich hatte ihm nicht nur das Rechnen beigebracht, sondern auch die Gewalt. Der Mann, den ich damals in Bagdad liquidiert hatte, war ausgerechnet sein Onkel“.
Seine Trauer sickerte in ihren Körper. Sie breitete sich langsam in ihr aus und trotz der immer noch tropischen Temperaturen, begann sie zu frösteln. Sie sah den Wellen zu, die sich unermüdlich gegen den Strand warfen, nur um dort gebrochen zu werden. Eine nach der anderen verloren sie ihre Form und ihre Kraft an das Rauschen der Strandkiesel. Nur der Wind trieb den Wellenschaum noch weiter, wenn das Wasser schon geschlagen den Rückzug in das Meer angetreten hatte. Doch am Ende der Böe blieb auch der Schaum erschöpft liegen und löste sich langsam auf, zurück in Luft und salziges Wasser.
Sie fühlte sich wie dieser Wellenschaum, allein vom Wind nach vorne getragen. Dazu verdammt zu stranden und zu zerfallen, in viel Luft und vielleicht ein paar salzige Tränen auf den wenigen Gesichtern die wichtig waren. Ihr Hals war wie zugeschnürt.
„Es ist so hoffnungslos“ so drang es schließlich kaum hörbar aus ihrem Mund.
Er ließ sich Zeit, bevor er mit fester Stimme antwortete:
„Nein, das ist es nicht. Nicht für Dich! Immerhin hast du es geschafft ein Mensch zu bleiben, deine Freiheit zu behalten. Die Freiheit nicht das zu tun, was sie von Dir wollen. Natürlich wischt jetzt ein anderer im gleichen Glaskasten die gleiche Hoffnung aus den gleichen Gesichtern. Aber dich, dich haben sie nicht bekommen.“
Sie konnte in der Dunkelheit seine Augen auf ihrem Gesicht spüren:
„Ich möchte Dich um einen Gefallen bitten. Kannst Du das in Deutschland für mich zur Post bringen?“ sagte er und schob einen Umschlag in ihre Hände. „Es ist ein Brief an meinen Sohn, er hat ein Recht alles zu erfahren.“
„Bist du dir sicher, dass du das möchtest?“, antwortete sie spontan, der Umschlag lag schwerer in ihrer Hand, als er sollte, „ich weiß nicht, wie ich es ausdrücken soll, aber vielleicht ist ein Vater, der lange tot ist, der bessere Vater?“
„Das dachte ich auch sehr lange, aber seit heute Abend bin ich mir sicher: Er muss erfahren, wer ich bin. Ich habe ihn gesehen und er ist genauso wie ich in seinem Alter: naiv und leicht zu begeistern. Wenn er nicht gewarnt wird, dann wird irgendjemand ihn benutzen. Das Wissen über mich kann ihm helfen, dass zu erreichen was Du geschafft hast: Nein zu sagen!“
„Er wird versuchen Dich zu finden!“ so versuchte sie ihn mit Logik zu überzeugen, zu deutlich war das Gefühl, Teil eines Testamentes zu sein.
Seine Antwort bestätigte ihre Befürchtungen: „Da wo ich hingehe, brauche ich kein Geld!“.
Er schien zu spüren, wie sie neben ihm zusammenzuckte, und legte sanft seine Hand auf ihren Oberarm. Ihre erste Berührung.
„Ich werde mich nicht selbst umbringen! Im Norden Indiens liegt ein Kloster, das nur wenige Menschen finden. Dort leben Mönche aus Tibet, und zwar nur solche, die den Kampf gegen die Invasion aus China mit Waffen geführt haben. So wie ich kannten sie nur eine Antwort auf die Gewalt in der Welt: noch mehr Gewalt. Es ist Gemeinschaft derer, die nicht den Mut hatten „Nein“ zu sagen. Unsere Aufgabe ist es zu schweigen und ein wenig Raum zu schaffen in dieser Welt. Raum für diejenigen, die genügend Mut haben, „Nein“ zu sagen.“
Halbzeit
Immer wieder wird behauptet, es gäbe ihn gar nicht, DEN Deutschen, DEN Amerikaner oder gar DEN Holländer. Der Standpunkt mag ja politisch außerordentlich korrekt sein, aber dennoch ist er vollkommen falsch. Natürlich gibt es ihn, diesen typischen Vertreter einer jeden Nation. Sicher, seitdem Schuhe von Birkenstock in allen Länder dieser Erde verkauft werden, ist es nicht mehr ganz so einfach den Deutschen im Ausland zu erkennen. Aber auch wenn die Zeichen heute etwas subtiler geworden sind, eindeutig sind sie immer noch. Nach wie vor gilt: wer außerhalb seiner eigenen Wohnung Sandalen mit Socken trägt, der spricht auch Deutsch.
Viel spannender ist es allerdings die Nationalität eines Menschen zu bestimmen, wenn solche offensichtlichen Merkmale fehlen und einzig das Verhalten der Menschen eine Unterscheidung möglich macht. Doch wer sich ein wenig Mühe gibt, muss auch daran nicht scheitern. Zur Halbzeit unserer Reise lässt sich das leicht an den Ländern festmachen, die wir bisher besucht haben. So sind DIE Australier allesamt entspannt, freundlich und hilfsbereit; dagegen habe ich DIE Bewohner von Fiji als freundlich, hilfsbereit und entspannt erlebt. In Kanada trafen wir auf stets hilfsbereite Menschen-dabei entspannt und freundlich – und die Freundlichkeit DER US-Amerikaner ist ja bereits sprichwörtlich; entspannt und hilfsbereit waren sie obendrein.
Irgendwie lässt mich das Gefühl nicht los, dass meine Typisierung von Nationen auf unseren nächsten Reisestationen zu ähnlichen Ergebnissen führen wird. Auch die Neuseeländer, Inder und Nepali werden sich durch die gleichen Attribute auszeichnen. Meine Klassifizierung ist also ebenso einfach wie nutzlos. Doch woran scheitert es nun, mein bewährtes Modell?
Vielleicht findet sich die Ursache in der Geschichte, immerhin waren alle diese Länder – in der einen oder anderen Form – einmal Teil des britischen Königshauses. Aber so gerne ich auch anglophil denken möchte: es ergibt keinen Sinn. Würde Tee mit Milch oder Gurkenbrote mit abgeschnittener Rinde solche Eigenschaften hervorbringen, dann müsste sich bereits die ganze Welt davon ernähren.
Was sonst aber ist all diesen Nationen gemeinsam? Die einzige Übereinstimmung die bleibt, bin ich selbst, der Betrachter. Natürlich wird meine Anwesenheit kaum etwas bewirken, was selbst dem britischen Empire nicht gelungen ist. Aber vielleicht ist es ja wahr, das Sprichwort vom Wald aus dem das herauskommt, was man hineinruft. Auch wenn es im wörtlichen Sinn nicht stimmt – ich habe in etliche Urwälder geschrien und dabei höchstens Rehe aufgeweckt – dann doch im übertragenen.
Nach meiner Rückkehr werde ich es ausprobieren, dann müssten auch DIE Deutschen alle hilfsbereit und freundlich sein, zumindest solange ich selbst es schaffe entspannt zu bleiben. Bis dahin werde ich sie an den Sandalen mit Socken erkennen.
Twitterroman
Die Germanwings-Piloten streiken und mein Flug nach Friedrichshafen wird einfach gestrichen. Nun ist Friedrichshafen zwar für Pionierarbeit in der Luftfahrt bekannt, aber der Flughafen beileibe kein internationales Drehkreuz; sprich alternative Flüge sind eine glatte Fehlanzeige. Autofahren ist an einem Freitag mit Flugstreik auch keine richtig gute Idee. Also bleibt die Bahn als entspannte Alternative.
Dort hat inzwischen sogar das Wort „Service“ Einzug gehalten, eine SMS warnt mich vor drei Minuten Verspätung die für meine S-Bahn erwartet werden. Gut so, denn der Anschluss an den ICE ist knapp, also doch besser die S-Bahn eine Viertelstunde früher nehmen. Die wiederrum ist so pünktlich als käme sie anstatt aus Düsseldorf direkt aus der Schweiz, zum Umsteigen bleibt reichlich Zeit.
Den richtigen Bahnsteig in Köln-Deutz zu finden ist kein Problem, deutlich schwieriger gestaltet sich da schon die Suche nach dem richtigen Ort auf diesem Bahnsteig. Der „Wagenstandsanzeiger“ zeigt den ICE 1107 unter der richtigen Abfahrtszeit gleich vierfach auf. Mutig beginne ich mit dem Entziffern der Abkürzungen. Eintrag Nummer vier sagt nur „Sa“ und fällt damit sofort aus dem Rennen. Nummer eins beginnt mit „Mo, Mi, Do“. Eindeutig falsch. Weiter zu Nummer zwei: „Di“. Auch daneben. Bei Nummer drei werde ich fündig: „Mo-Fr“ steht dort unschuldig. Etwas skeptisch bin ich aber schon, denn was sollen dann die beiden anderen Einträge? Also hole ich die Lesebrille raus und begebe mich an das Kleingedruckte unter dem „Mo-Fr“ Eintrag: „ab 07. Apr, auch 07. Mär“. Heute ist der 04. April da bin ich mir sicher, auch wenn es sich inzwischen schon sehr nach dem 01. April anfühlt.
Jemand schaut mir gespannt über die Schulter, ein Pilot der Germanwings mit Streikbutton an der Uniform. Wahrscheinlich ist es derjenige der sonst meinen Flug gesteuert hätte. Klar, denke ich: Der kann ja auch nicht ewig streiken, immerhin muss er heute auch ohne Flugzeug nach Hause. So arbeiten wir gemeinsam an dem Wagenreihenrätsel und probieren es noch einmal ganz von vorne, diesmal mit viel Liebe zum Detail. Der Lohn der Mühe findet sich ganz hinten im Eintrag Nummer 2:
„ICE 1107“ Di (also nicht heute)
11.Mär bis 01. Apr (erst recht nicht heute)
Auch 10., 14. Mär… (schon gar nicht heute) 04. Apr. (TREFFER)
Nur penetrante Logiker werden darauf hinweisen, dass entweder in der zweiten Zeile ein „Auch“ fehlt, oder in der dritten eines zu viel ist. Ich hingegen bin begeistert von diesem hochmodernen „Twitterroman“ mit unerwarteter Wende und einem Happy End in nur sieben Zeichen. Natürlich ist die vierte und letzte Zeile „04. April 20ziger umgekehrt“ eindeutig zu langatmig geraten, aber das ist alleine schon deshalb verzeihbar, weil sie sich bei der überpünktlichen Einfahrt des Zuges als absolut unzutreffend erweist.
Doch offensichtlich traut die Bahn der Logik ihrer eigenen Anschläge nicht so ganz, denn auch dreißig Minuten nach der geplanten Abfahrtszeit steht der ICE 1107 noch auf dem Abfahrgleis, damit auch der Letzte seinen Platz finden kann. Sicherlich auch mein Pilot, aber beschwören kann ich es nicht, denn der fährt in der ersten Klasse.
Wahlwerbung
Auch im Land der unbegrenzten Möglichkeiten gibt es sie: Dinge die es einfach nicht gibt. Dazu gehören Wahlkandidaten für wichtige Ämter, die nicht einer gewissen Norm entsprechen. Strahlend weiße und gerade Zähne; eine, zumindest in der Öffentlichkeit funktionierende, heterosexuelle Beziehung und eine perfekte, normierte Frisur; nur weißgewaschen gelangen Politiker in Amerika auf ein Wahlplakat. Allein aus diesem Grund ist Obama als erster Schwarzer Präsident geworden, der konnte sich von den Weißgewaschenen noch abheben.
In unserem aufgeklärten Land gelten solche Regeln freilich nicht, doch mit Beginn der heißen Phase des Bundestagswahlkampfes kann ich mich des Gedankens einfach nicht erwehren, dass wir vielleicht noch einmal drüber nachdenken sollten! Dabei hätte ich mitnichten etwas dagegen, wenn die Konterfeis der Kandidaten auf unseren Plakaten die Bandbreite der Gesellschaft reflektieren würden, aber unseren Kandidaten geht es mit ihrem Namen so, wie dem sprichwörtlichen Hund und seinem Herrchen. Genau wie diese sich mehr und mehr gleichen, so gleicht das Aussehen unserer potentiellen Volksvertreter mehr und mehr ihrem Namen.
Auch das wäre ja noch in Ordnung, wenn, ja wenn da nicht diese Namen wären. In meinem Bezirk habe ich die Wahl zwischen Katharina Dröge, Heribert Hirte und Gisela Manderla. Alle drei sehen sie hundertprozentig so aus wie sie heißen und hängen obendrein in Farbdruck von jedem Laternenmast; plötzlich scheint mir der Prozentsatz der Nichtwähler gar nicht mehr so hoch.
Da wir aber in Deutschland sind, muss es sie einfach geben, die logische Erklärung geben für die optische Anpassung an den Namen. Mein erster Gedanke kreist um die immer schlechter werdende Schulbildung und die mangelnde Fähigkeit der Jungwähler auf einem Wahlschein, der erstens in analoger Papierform vorliegt und zweitens ausschließlich aus Text besteht, den richtigen Kandidaten zu finden. Anders gesagt, die Ähnlichkeit als primitives aber wirksames Hilfsmittel für die Generation Facebook. Mit der Intention hätte ich allerdings dann eher jemanden mit dem Namen Sabine Sonnenschein zur Kandidatin gekürt.
Doch dann wird mir der wahre Grund schlagartig klar: Die Optik und der Name sind ein gemeinsamer Spiegel des jeweiligen Parteiprogramms. Inzwischen haben selbst die Wahlstrategen erkannt, dass ihre programmatischen Texte bestenfalls noch vom politischen Gegner gelesen werden. Aus dieser Erkenntnis muss sie geboren sein, die Idee das Programm in einen Namen mit einem entsprechenden Gesicht umzusetzen.
Heribert Hirte steht für die wertekonservative CDU: „Wählt mich und ich werde der dumpfen Herde des Wahlvolks regelmäßig das Fell scheren“. Katharina Dröge repräsentiert die modernen Grünen, die alles tun werden, nur nicht mehr mit neuen und frischen Ideen überraschen und Gisela Manderla verkörpert die SPD, die schon so lange nicht mehr weiß wofür sie steht, dass sie jetzt einmal die Esoterik erprobt. Oder kandidiert sie doch für die CDU und ich habe nur Vorurteile? Allein die FDP unterscheidet sich von den anderen Parteien und bildet keinerlei Gesicht ab, was nur den Schluss zulässt, dass die FDP-Strategen in ihrem Programm einfach gar keine klare Aussage gefunden haben.
Von der Insel 2
„Bye Bye, my Darling“, „This is for you, Sweetheart“, “Thanks, My Lovely“. Formulierungen, die ich von Menschen aus meinem engsten Umfeld gelegentlich höre, zumindest aber von Menschen die ich bereits etwas länger kenne als dreißig Sekunden, nicht so in England. „My Lovely“ nennt mich die Grenzbeamtin, „Sweetheart“ die Bedienung und für die Taxifahrerin bin ich „Darling“. Soviel zum Mythos der britischen Zurückhaltung. Aber vielleicht hat ja die Geburt eines neuen potentiellen Thronfolgers auch die Gemüter etwas verwirrt, das Ereignis ist anscheinend höchst bedeutsam und in aller Munde.
Das Telefon klingelt und aus purer Gewohnheit nehme ich den Hörer ab, obwohl es sich mit Sicherheit um einen Anruf für den britischen Kollegen handelt, dessen Büro ich freundlicherweise nutzen darf. Der Lohn für die Mühe ist eine Einladung zu einem Dinner mit Prinz Charles. Aufgrund meiner herausragenden Leistungen für Großbritannien und die königliche Familie, entstehen für mich keinerlei Kosten, alleine der Besucherausweis zum Buckingham Palace macht eine Gebühr von zweihundert Pfund erforderlich, vorab zu entrichten.
In einem Land, welches für das Betreten von Kirchen Eintrittsgelder verlangt, ist auch eine solche Gebühr nicht undenkbar. Aber eine kurze schonungslose Selbstanalyse meiner persönlichen Beiträge zum britischen Wohlergehen, bringt mich doch ins Zweifeln. Irgendwie erinnert der Anrufer an den netten Herren aus Nigeria der mir gelegentlich eine Mail schickt; der mit dem Millionenvermögen das er gegen eine kleine Gebühr teilen will. Die Rolle der nigerianischen Millionen, scheint hier jedoch Prinz Charles zugefallen zu sein.
Der Scam-Profi am Telefon nimmt meine skeptische Haltung gelassen hin, zumindest bis zu dem Moment als ich erkläre, dass ich keinerlei Interesse an einem Dinner mit dem Prinzen hätte. Sehr unmissverständlich macht er mir klar, dass er schon alle Antworten gehört hat, aber noch nie eine solche Unverfrorenheit. Es dauert eine Weile bis ich erkenne, welchen Kardinalsfehler ich gerade begangen habe.
In einer abgelegenen Gegend Afrikas wurde ich von einem Einheimischen vor vielen Jahren gebeten ihm ein Moped zu kaufen. Meine Antwort, dass ich das nicht könnte, wollte er beim besten Willen nicht akzeptieren. Erst als ich ihm erregt erklärte: „Ich will nicht!“, schlug er mir freundlich und verstehend auf die Schulter und das Thema war beendet. Er hatte natürlich Recht, als –vergleichsweise – reicher Europäer hätte ich ihm sehr wohl ein Moped kaufen können, aber wenn ich das nicht wollte, dann war das in Ordnung.
Wenn es nun wie im vorliegenden Fall um Engländer und ihr Königshaus geht, gilt das Prinzip auch, nur mit umgekehrtem Ergebnis. Natürlich ist es vollkommen akzeptabel nicht zu können, aber bei diesem Angebot eines Dinners mit Prinz Charles nicht zu wollen, ist gänzlich unvorstellbar. Also ändere ich meine Strategie und behaupte mir momentan die Vorabgebühr schlicht nicht leisten zu können, womit das Gespräch auch gleich wieder in ruhigere Fahrwasser gelangt.
„Sir, if you can’t afford it right now, I sure can call you back in a few months“. Hier ist sie meine Chance vollkommen unangebracht und dennoch echt britisch zu agieren, mein honigsüßes „Bye Bye my Darling“ beendet das Telefonat.
Männer und Yoga
„Wenn du hergekommen bist um das große weiße Licht zu sehen, dann bist du hier definitiv am falschen Ort“. Diese Aussage zumindest beruhigt mich in der ersten Yogastunde meines Lebens. Insbesondere, da sie auch noch von einem kalifornischen Yogalehrer kommt, dem Land in dem mehr als die Hälfte der Bevölkerung glaubt, Yoga sei in Kalifornien erfunden worden. Ansonsten ist Yoga für Männer ja nicht unbedingt ein niedrigschwelliges Angebot, der gleiche Lehrer erklärt mir am Ende der Stunde – ich bin so fertig, dass mir keine Flucht gelingen will – es gäbe überhaupt nur drei Gründe weshalb Männer zum Yoga kommen: Erstens, sie hatten eine schwerwiegende Verletzung, zweitens, eine Frau hat sie mit angeschleppt oder drittens, sie suchen eine Frau.
Für mich trifft der zweite Grund zu, auch wenn das an dieser Stelle jeder sagen würde, und im Grunde ist die Frage einfach falsch gestellt: das Männer nur in Notlagen zum Yoga streben, mag zwar in der Praxis richtig sein, es liegt aber nicht an mangelnder Kompatibilität. Nein, Yoga ist eng verbunden mit den wichtigen männlichen Kernkompetenzen, wie zum Beispiel – wo wir gerade von wichtigen Dingen reden – Fußball. Ebenso wie eine gute Yogastunde dauert ein Fußballspiel neunzig Minuten, und in beiden Fällen kannst du, wenn es gut läuft, die letzten Minuten glücklich und entspannt verbringen. In manchen Aspekten ist das Yoga sogar dem Fußball geradezu überlegen. Eine Yogalehrerin, in jeglicher Hinsicht eine waschechte Schweizerin, emotional extrovertiert wie die Schweizer nun mal sind, forderte uns auf am Ende der Bewegung einen lauten Schrei auszustoßen: „mindestens dreimal, aber wenn es pressiert dann auch viermal“. Wann konnte denn ein Fan des 1.FC Köln das letzte Mal in einem Spiel viermal jubeln? Ganz offensichtlich gibt es keinen Konflikt zwischen Männern und Yoga.
Bei unseren britischen Nachbarn hat sich diese Erkenntnis wohl schon länger durchgesetzt. Kaum hatte ich mich im Pub eines Londoner Vorortes als Yogi geoutet, wurde ich auch schon aufgefordert demnächst Dienstagsabend zu kommen, zum Yoga im Pub. Geschickt wurde hier die Hemmschwelle reduziert, keine Ausreden mehr, keiner muss seiner Frau oder Freundin erklären warum er jetzt zum Yoga geht, du gehst einfach wie jeden Abend in die Kneipe und fertig. Vielleicht mag jetzt der ein oder andere Wächter der Yogamoral aufschreien, die Lokalität als ungeeignet kritisieren. Jeder echte Yogi jedoch weiß, dass Yoga vielleicht den Weg zu Ausgeglichenheit, Achtsamkeit und Einklang führen kann, mit absoluter Sicherheit aber auch Durst macht. Daher scheint mir der Pub als Location, wenn nicht über alle Zweifel erhaben, so doch zweckmäßig zu sein.
Und das Allerbeste am Yoga ist die Toleranz die entsteht sobald es praktiziert wird. Sollte sich dann doch einmal eine Frau in das Kneipenyoga verirren, und, wider Erwarten, weder eine Verletzung haben, noch auf der Suche nach einem Typen sein, ja selbst wenn sie noch nicht einmal nach dem Yoga einen Pint Lager mittrinken würde, sie dürfte trotzdem vorbehaltslos mitmachen.
Wege aus der Finanzkrise
Von Finanzen verstehe ich nun wirklich nichts. Also, ich weiß schon wie ich den Monat mit dem Geld überlebe welches mir zur Verfügung steht. Ich verstehe es auch durchaus zu sparen, und das obwohl ich als Kind regelmäßig zum Weltspartag auf die Bank geschickt wurde, um dort die Grundregel für den Umgang mit deutschen Banken zu lernen: Wir bekommen dein Geld und du einen Lutscher.
Inzwischen geht es den Banken nicht mehr so gut, deswegen gibt es wahrscheinlich nur noch halbe Lutscher. Aber genau wissen kann ich das nicht, denn dank Internet muss ich seit Jahren keine Bank mehr besuchen. Ihre Schulden bezahlen muss ich trotzdem, und sehe den freundlichen Sparkassenonkel mit dem Lutscher vor meinem geistigen Auge: „Wenn Du uns Dein Geld gleich gegeben hättest, hättest Du zumindest noch einen Lutscher dafür bekommen“.
Jetzt bekomme ich statt eines Lutschers ein ganzes System von Staaten, denn ich bezahle ja nur für die systemrelevanten Banken, sprich die, deren Konkurs gleichzeitig auch das Ende Europas, der menschlichen Zivilisation oder zumindest aber des christlichen Abendlandes bedeuten würde. Bis auf solche, von denen ich vorher nie gehört habe, scheinen dies aber alle zu sein.
Irgendwann stehe ich dann im Büro des Sparkassenonkels, der Stress ist auch an ihm nicht spurlos vorübergegangen. Er springt erschrocken hinter seinem Schreibtisch vor. Sein Anzug, sitzt stramm am Bauch voller Kummerspeck. Spontan packt mich der Instinkt zur Seite zu treten, um nicht den Anzugsknopf ins Gesicht zu bekommen, der unweigerlich bald fliegen muss. Das würde aber nicht zu meiner entspannten Rolle passen, also bleibe ich gelassen in der Flugzone stehen, ohne auch nur ein Wort an den Herrn Direktor zu verschwenden.
Worte sind auch gar nicht nötig, mein Gegenüber weiß das die Stunde der Wahrheit geschlagen hat. Die Angst steht ihm in da Gesicht geschrieben, Schweißperlen rinnen von seiner Stirn. Freiwillig beginnt er von Zinserhöhung zu stottern, bietet mir sogar das rot-gelbe Plastiksparschwein an, für das mein Erspartes früher an keinem der Spartage ausgereicht hat.
Zu wenig und zu spät! Lässig werfe ich ihm einen dünnen Ordner auf den Schreibtisch, ich habe es genau ausgerechnet, diese Filiale gehört jetzt mir, mit meinen Steuergeldern bezahlt, von mir persönlich vor dem Untergang gerettet und jetzt in meiner Verfügung, mit all ihren Mitteln und mit all ihren Mitarbeitern. Und eben auch dem Direktor.
Für den Bruchteil einer Sekunde packt mich das Mitleid. Empfinde ich ihn als das, was er vielleicht sogar ist, nämlich auch nur ein armes Schwein. Die jahrelangen schweren Bonuszahlungen hat seine Frau mit dem Tauchlehrer auf den Malediven durchgebracht, seine Kinder trauen sich seit Jahren nicht irgendjemanden den Beruf Ihres Vaters mitzuteilen, seinen kommenden Herzinfarkt kann der blödeste Kardiologe Deutschlands schon ohne Geräte diagnostizieren und der Jaguar auf dem Direktionsparkplatz ist auch schon zwei Jahre alt. Wir könnten jetzt zusammen ein paar Bierchen trinken gehen, er gelobt Besserung und ich kann mich wieder aus dem schmutzigen Bankgeschäft zurückziehen.
Aber so einfach geht das nicht, das ist der Typ der mir zwei Prozent Zinsen auf mein Erspartes gegeben und gleichzeitig meinen Eltern acht Prozent für den Hauskredit abgenommen hat. Schlimm genug, aber mich dann auch noch für die Pleite bezahlen zu lassen ist schlicht und ergreifend zu viel. Wenn es denn jemals einen Fall gab in dem ein Exempel statuiert werden musste, dann hier und heute.
Also bin ich zum gnadenlosen Ende gezwungen, mit maximaler Härte und schicke ihn an den einzigen Platz an dem er angemessene Sühne leisten kann. Manche mögen es als zu hart empfinden, aber Hand aufs Herz, es gibt eben nur einen Platz auf dieser Erde an dem ich sicher sein kann, dass er nicht noch mehr Schaden anrichtet: Im Inneren des eigenen Tresors, inklusive negativer Verzinsung seiner Körpermasse.
Die beiden einzigen Bankangestellten schicke ich mit dem Jaguar des Direktors und dem Bargeld aus dem Tresor nach Griechenland, mit dem Auftrag dort für mindestens vier Wochen die Konjunktur anzukurbeln. Und um dann ein anderes Wirtschaftssystem einzuläuten, durch Tauschhandel den Weg in eine Zukunft ohne Finanzkrisen zu ebnen, tausche ich den Tresorschlüssel mit einem Jungen den ich auf der Straße treffe. Gegen das zusätzliche Versprechen den Schlüssel im besten möglichen Versteck zu horten, erhalte ich seinen Lutscher und das gerechte Gleichgewicht ist wieder hergestellt.