Beschämt zur Seite blicken ist die Sache der Nepalesen nicht, hier ist das Zuschauen erlaubt, in jeder Situation. Und wer will es ihnen verdenken, in einem Ort, der keinen Fernseher kennt und der höchstens einmal im Jahr Touristen erblickt. Wenn der Tourist dann auch noch blond ist und fast doppelt so lang wie der größte Einheimische, dann begleiten ihn braune Augen auf allen Schritten.
Das ist nicht weiter schlimm, denn es gilt natürlich gleiches Recht für alle und auch ich schaue mir gerne die Menschen an. Obendrein ist auf einer Trekkingtour im Himalaya nicht viel zu verbergen. Jeder Tag folgt demselben Muster aus Laufen, Essen und Schlafen! Und danach das Gleiche wieder von vorne. Wer diese Entspannung noch nicht erlebt hat, dem erscheint die Regelmäßigkeit vielleicht monoton.
Allerdings gibt es dann doch den einen oder anderen Moment, den ich lieber ungestört verbringen möchte. So führen das regelmäßige Essen und die regelmäßige Bewegung auch zu einer sehr regelmäßigen Verdauung. Gleich am Morgen nach den unvermeidlichen Frühstückseiern fordert die Natur ihr Recht, so auch heute in einem kleinen Bergdorf.
Die aufmerksamen Nepali verstehen mein Bedürfnis sofort und leiten mich gemeinsam und nicht ohne etwas Stolz zum Toilettenhaus. Schlagartig verstehe ich, wie sich Gandalf auf Besuch bei den Hobbits fühlt. Das Bauwerk ist aus massivem Stein errichtet aber nur einen Meter fünfzig hoch. Ich bücke den Oberkörper durch die Tür und scheitere beim Versuch mich drinnen wieder aufzurichten am Dachbalken. Ein Nachteil der dicken Steinwände: der Innenraum ist noch viel kleiner als die Außenmaße vermuten ließen.
Immerhin kann ich derart gebückt bereits einen guten Blick auf die Sanitäreinrichtung werfen: sauber und eindeutig gehobener Standard. Eine Keramikkachel auf dem Boden umrahmt das obligatorische Loch und ein Wassereimer zur Linken mit einer Schöpfkelle aus Plastik vervollständigen das Inventar. Das Highlight der Ausstattung ist fließendes Wasser. Die Hütte steht strategisch klug neben einem Gebirgsbach und über ein kleines Rohr sprudelt das Wasser munter in eine Tonne. Die deutsche Industrienorm gilt hier nicht, sonst müsste die Wassertonne für jeden Zufluss auch einen Abfluss besitzen. So läuft der Eimer einfach über, und fungiert – da die Hütte leicht geneigt am Hang steht – als Spülkasten im Dauerbetrieb.
Das Problem: Bei meiner Körperbreite spült der Eimer nicht nur den Boden, sondern auch mich, sobald ich zwischen ihm und der Wand hocke. Heute Morgen jedoch habe ich Glück, der letzte Besucher hat ausgiebig Gebrauch von der Schöpfkelle gemacht und daher steht das Wasser noch deutlich unter dem Tonnenrand. Für geschätzte fünf Minuten wird der von mir angestrebte Platz über der Kachel noch trocken bleiben. Ein weiterer Grund mich schnell an das unvermeidliche Werk zu begeben.
Dazu müsste ich allerdings mein Hinterteil zur Kachel ausrichten, der Versuch scheitert jedoch ebenso wie zuvor das Aufrichten. Für eine Körperdrehung ist die Hütte schlicht und ergreifend zu eng. Ich brauche einen Neustart, verlasse die Hütte und versuche es aufs Neue, diesmal rückwärts. Dabei kann ich dann auch gleich einen Blick auf die inzwischen deutlich gewachsene Zahl an Zuschauern werfen. Sie sehen sehr zufrieden aus mit dem, was ihnen bisher geboten wird. Diesmal komme ich deutlich näher an das Ziel, auch wenn das Rückwärtsgehen in der tiefen Hocke nicht meine beste Disziplin ist.
In der angestrebten Position angekommen, stehe – oder besser gesagt hocke – ich allerdings vor dem nächsten Problem: meiner Hose. Die muss naturgemäß nach unten, doch zwischen dem engen Gemäuer, der dicken Daunenjacke und den angewinkelten Knien existiert für sie kein Weg. Ich muss wieder raus und einen dritten Anlauf versuchen, sehr zur Freude meiner Zuschauer.
Langsam wird die Zeit knapp und das nicht nur wegen des steigenden Wasserpegels in der Tonne. Um etwas Raum zu gewinnen, hänge ich die Daunenjacke außen an die Hütte und mache mich wieder daran rückwärts einzuparken. Diesmal im synchronen Rhythmus: Der Körper muss rückwärts in die Hütte gefaltet werden und die Hose gleichzeitig nach unten geschoben, Zentimeter für Zentimeter. Die Strategie ist erfolgreich und ich kann mich den Dingen widmen, für die ich gekommen bin.
Natürlich würde ich gerne vorher noch die Tür schließen, die aber geht nach innen auf, also muss sie offenbleiben. Man kann im Leben nicht alles haben und sollte auch nicht nur an sich selbst denken: Meine Zuschauer sehen der Fortsetzung des Programms gespannt entgegen. Ich würde deutlich mehr als einen Groschen für ihre Gedanken geben. Und auch ich kann am Ende von der offenen Tür profitieren, denn das Toilettenpapier befindet sich in der Tasche meiner Daunenjacke. Gut, das mein Kopf aus der Tür hinausschaut, so können meine Augen um Hilfe bitten. Ein mutiger Junge läuft vor und reicht mir die Jacke, so eben noch rechtzeitig, bevor die Wassertonne überläuft.
Ach Landsmann, ich mag Deinen Stil, wir haben wirklich herzlich gelacht. Solltest Du mal ein Buch schreiben, sag Bescheid, ich kaufe das erste Exemplar.
Liebe Grüße aus Sri Lanka, Thomas
Herrliche Beschreibung….was für ein Freude hatte ich beim Lesen und mein Kopfkino sach isch nit…da bekommt et Kackleed von den Bläck Fööss eine herrliche Ergänzung. Danke für diesen schönen Beitrag