Sprichwörtlich ist sie, die Höflichkeit der britischen Inselbewohner und überall im Königreich wird sie gelebt. Auf dem Kricketplatz im ländlichen Essex wird den Kindern zunächst einmal das richtige Händeschütteln mit dem Gegner beigebracht: beide Füße auf eine Höhe stellen, aufrechte Haltung, dem Gegenüber in die Augen schauen, fester Händedruck und während des Loslassens die kleinste Andeutung einer Verbeugung; nur ein Hauch mehr als Kopfnicken, aber dieser Hauch ist entscheidend. Nach einer Stunde ist das Training beendet, ohne dass Ball oder Schläger zum Einsatz kommen, das ist aber wohl nicht tragisch, denn wesentlich mehr an sportlicher Bewegung, ist im Kricket ja auch beim Spielen nicht erforderlich.
Im gleichen Alter habe ich in der Fußball F-Jugend der Spielgemeinschaft Aumenau/Seelbach schon die Blutgrätsche auf dem Ascheplatz geübt. Ganz abgesehen davon, dass wir Kinder noch nicht verstanden hatten, dass der SV Seelbach, in der letzten Saison noch der Erzfeind unseres TUS Aumenau, jetzt Teil einer Spielgemeinschaft mit uns sein sollte, war alles Mögliche Teil unseres Trainings, nur nicht Höflichkeit. Im Kontrast zwischen Blutgrätsche und Händeschütteln muss sie irgendwo entstehen, die britische Höflichkeit.
Offensichtlich wird sie in den Schildern, welche das öffentliche Leben regeln. „To enjoy full benefits, please take a shower before using the pool“; so belehrt mich ein Schild im Hotelschwimmbad. Welche Vorteile aus der Dusche vor dem Bad entstehen bleibt offen, aber die Formulierung ist wohltuend und motivierend, insbesondere für alle die noch die klassische Version des deutschen Bademeisters kennen – der seine Badehose wie eine Gardeuniform trägt und dessen zackiger Ruf „Duschen! Aber flott“ mir noch heute im Kopf klingt, sobald Chlorgeruch meine Nase trifft.
Die höfliche Formulierung ist aber keineswegs auf elitäre Wellnessbereiche beschränkt, sondern findet sich auch im profanen Alltag wieder. „Caution: Female cleaners may be in attendance“, warnt mich ein Schild vor der Herrentoilette. Wenn in Deutschland ein Schrubberstiel diagonal in die Klotür geklemmt ist, dann ist das schon die höfliche Variante. Eine von innen abgeschlossene Toilettentür, an der ich mir überrascht die Nase plattdrücke oder die Begegnung mit einer feudelschwingenden Reinigungsverantwortlichen, die bestimmt verkündet: „Et es zo“, sind die wesentlich wahrscheinlicheren Fälle.
Das einfältige deutsche Gemüt könnte an dieser Stelle natürlich auf den Gedanken kommen, die freundliche britische Variante sei weniger verbindlich, als die direkte Ansage in deutschen Landen, dem kann ich allerdings nur Vorsicht anraten. Auf die höfliche Frage „Would you mind to take of your shoes“ des britischen Grenzbeamten wahrheitsgemäß zu antworten: “Lieber nicht!”, kann schnell zu einer deutlichen Eskalation führen. Aber auch dann wird der Engländer den unvermeidlichen Tatbestand der Verhaftung freundlich und positiv beschreiben:“He’s been taken at her Majesty‘s pleasure“.
Von Schopenhauer ist folgendes Zitat überliefert: „“Höflichkeit ist wie ein Luftkissen. Es mag wohl nichts drin sein, aber sie mildert die Stöße des Lebens.“ Ich erinnere mich noch sehr gut an meine erste Interrail-Reise, die uns unter anderem von England über die Kanalinseln nach Paris führte.. Nach der ausgesprochen höflichen und hilfsbereiten Art der Engländer kam ich mir in Paris vor wie in Feindesland. Heute gibt es schon einen Eintrag zum Paris Syndrom bei Wikipedia – das könnte den Engländern nie passieren! http://en.wikipedia.org/wiki/Paris_syndrome Bitte mehr Geschichten von der Insel!!!
sehr schoen, kommt mir irgendwie bekannt vor